Das besondere Fossil

Dezember 2008- Ceratiten-Mundwerkzeuge als Indikatoren eines Massensterbens
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Plattengröße = 15 x 10 cm, 64 z.T. paarig liegende Mundwerkzeuge von 33 Individuen als Teilstück einer großen Platte
Oberer Muschelkalk, philippii/robustus –Biozone, Stregda bei Eisenach Slg.: Stefan Weiland

Beschreibung:

Mit vorzüglich erhaltenem Fossilmaterial einer Konservatlagerstätte bei Kronach gelang erstmals der Nachweis für ein Massensterben von Ceratiten auf Populationsebene (REIN 2003). Die Besonderheit des Fundes beruhte auf der gemeinsamen Einbettung von 44 adulten Ceratiten-Gehäusen mit mehr als 800 sowohl in-situ als auch isoliert überlieferten „Mundwerkzeugen“ unterschiedlichster Größe. Die statistische Analyse dieses Momentereignisses bewirkte einen Qualitätssprung in der Ceratiten-Forschung mit folgenden Ergebnissen:

  1. Die Größe der in-situ liegenden Mundwerkzeuge entspricht ca. 13% der Gehäusegröße (vgl. Abb. 2; C. spinosus). Diese Erkenntnis ermöglicht den Rückschluss auf die Größe von jugendlichen Individuen von denen i.d.R. im Muschelkalk keine Steinkerne sondern nur die Mundwerkzeuge erhalten sind.
  2. Ceratiten besitzen kongruent paarig angeordnete, schaufelartige hornige Bildungen. Da diese deshalb nicht wie Kiefer zum Beißen befähigten, wurde für sie der Begriff „Mundwerkzeuge“ eingeführt (vgl. Abb. 3).
  3. Da es sich um ein plötzliches Ereignis handelt entspricht die Größenverteilung der Mundwerkzeuge exakt der Zusammensetzung einer Population.


Abb. 2: Liegende Seite eines C. spinosus mit paarig in-situ liegenden Mundwerkzeugen, DE = 166 mm. Original: (REIN 2003, Abb. 4a)



Abb. 3: Morphologie der paarig liegenden Mundwerkzeuge der Ceratiten in körperlicher Erhaltung. Eine beißende Funktion ist auszuschließen. In der Regel sind die ursprünglich hornigen Mundwerkzeuge fossil als flachgedrückte kohlige Bildungen erhalten


Seit der Bearbeitung der „Kronacher Konservatlagerstätte“ (REIN 2003) konnten bereits 17 weitere Massensterben mit „konservierten“ Mundwerkzeugen in 6 Biozonen nachgewiesen werden. Dabei wurden die Kronacher Ergebnisse jeweils überzeugend bestätigt. Dazu gehört auch der letzte Fund in der philippii/robustus-Zone von Stregda bei Eisenach. Die Form der statistischen Auswertung wird am Beispiel des kleinen 15 x 10 cm großen Teilstücks der „Stregdaer Platte“ mit 64 Mundwerkzeugen dargestellt. Die Gehäusegröße (DE) wurde jeweils über den anteiligen Prozentsatz 13% je Mundwerkzeug rechnerisch ermittelt.


Abb. 4: Im Diagramm wird die gesetzmäßige Größenverteilung (wenig große und zahlenmäßig proportional anwachsend immer kleiner werdende Individuen) innerhalb der Population deutlich sichtbar. Diese unabhängig von der Biozone bei jedem Massensterben stets gleiche Verteilung ist nur mit einer vagil-benthischen Lebensweise zu erklären.


Die größenmäßige Zusammensetzung der Stregdaer robustus-Population bestätigt die Erkenntnisse der „Kronacher Analyse“:

  1. Jede Ceratiten-Population besteht aus wenig großen und zahlenmäßig kontinuierlich proportional anwachsend immer kleiner werdenden Individuen in Form einer übergroßen „Generationengemeinschaft“. Dieses Zusammenleben aller Altersstufen im Populationsverband ist in der Invertebraten-Biologie ohne Beispiel. Mit dieser hohen Reproduktionsrate belegen Ceratiten ihre ökologische Bedeutung an der Basis der Nahrungskette im Muschelkalkmeer.
  2. Die autochthone Entstehung der räumlich begrenzten Lagerstätten mit der stets konstant bleibenden Zusammensetzung der Altersgruppen ist mit frei in der Wassersäule beweglichen Individuen unvereinbar. Sie setzt zweifelsfrei eine vagil-benthische Lebensweise voraus und ist gleichzeitig ein unstrittiger Beweis für eine herdenähnliche Besiedlung des Weichbodens auf Populationsebene.
  3. Der paarig identische Bau der schaufelförmigen Mundwerkzeuge der Ceratiten sowie die enormen Individuenzahlen sind eindeutige Belege dafür, dass ihre Ernährung keinesfalls carnivor gewesen sein kann. Zur Aufnahme niederenergetischer Nahrung aus dem Weichboden benötigt man auch keine Greifarme.
  4. Germanonautilus steht mit einer niedrigen Reproduktionsrate und seiner carnivoren Ernährung im Ökosystem Muschelkalkmeer in der Nahrungskette nicht als Nahrungskonkurrent neben sondern als Fressfeind über Ceratites.

Literatur:

REIN, S. (2003): Die „Mundwerkzeuge“ der Ceratiten des Oberen Muschelkalkes. - Analyse der „Kronacher Ceratitenplatte“ - Veröff. Naturhist. Mus. Schleusingen, 18: 17-26, 21 Abb., Schleusingen..