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Veröffentlichungen Naturkundemuseum Erfurt 24/2005 Seiten 13-34, 18 Abb.

Zur Biologie der Ceratiten der spinosus -Zone - Ergebnisse einer Populationsanalyse

Teil III: Schlussfolgerungen zur biologischen Organisation und Lebensweise des Ceratitentieres

SIEGFRIED REIN, Erfurt-Rhoda

"Die falschesten Geschichten sind diejenigen, die wir am besten zu kennen glauben und deshalb nie genau überprüfen oder in Frage stellen". (Gould 1998)

Zusammenfasssung

Die Auswertung der Informationen aberranter spinoser Morphen bringt einerseits eine Fülle neuer Erkenntnisse und bestätigt anderseits alle bislang diesbezüglich gemachten Diagnosen. Das variable Regenerationsverhalten des Mantelepithels ermöglicht Rückschlüsse auf die biologische Organisation des Weichkörpers und den Toleranzbereich physiologischer Prozesse. Dazu gehört der Nachweis der vollständigen Mantelhaftung am Hypostracum in der Wohnkammer sowie die Koordination der Funktion des präseptalen mit dem apikalen Mantelepithel und dem Siphonalapparat.

Die Bewertung der anomalen Bildungen offenbart eindrucksvoll, dass der Ceratiten-Weichkörper keinerlei morphologische und biologische Gemeinsamkeit mit Nautilus besitzt.

Sowohl der heterogene Einbaurhythmus der Septen als auch die Existenz organischer Lamellen belegen, dass selbst beim Phragmokon keine funktionsmorphologischen Gemeinsamkeiten mit Nautilus bestehen.
Offenbar übernehmen intrakamerale organische Strukturen in flüssigkeitsgefüllten Kammern kurzzeitig eine physiologische, den Heilprozess unterstützende Aufgabe. Damit erhält der Phragmokon die Funktion eines den Stoffwechsel unterstützenden Organs für Lebewesen mit einer vagil-benthischen Lebensweise.

Summary

To the biology of the Ceratites of the spinosus-zone - results of a population analysis, Part III:

The evaluation of information gained from anomalous spinose morphs on the one hand offers plenty of new knowledge and, on the other hand, confirms all respective diagnostics furnished by the author so far. The variable behaviour concerning recovery of the mantle epithelium allows conclusions as to the biological organisation of the soft body and to the allowable range of physiological processes. This conclusion comprises

evidence of the complete attachment of the mantle to the hypostracum in the body chamber as well as a coordination of functions of the pre-septal mantle epithelium with of the apical one and the siphuncular apparatus.

The assessment of anomalous structures makes impressively clear that there are no common functions concerning morphology and biology of the soft body of ceratites and Nautilus . Not only the heterogeneous rhythm of newly built septa but also the presence of organic lamination indicates that even the phragmocone lacks a common functional morphology with Nautilus . Obviously, for a short time intracameral organic structures within liquid-filled chambers take upon a physiological function supporting the recovery process. Thus, the phragmocone receives a function of an organ supporting the metabolism of animals with a vagile-benthonic lifestyle.

Key Words: Trias, Upper Muschelkalk, Ceratites , Regenerationsverhalten, intracameral organic structures, vagile-benthonic lifestyle.

1. Einleitung

Befunde zur Biologie ausgestorbener Organismen ergeben sich indirekt durch die Auswertung des Informationsgehaltes ihrer fossil erhaltenen Reste im Vergleich mit bekannten Formen. Das erfolgt bei den fossilen ektocochleaten Cephalopoden wegen ähnlicher Gehäuse-Merkmale durch vergleichende Gegenüberstellung mit dem rezenten Nautilus. Obwohl die Morphologie des Weichkörpers der fossilen Formen bislang unbekannt ist, übernimmt man auch für die Ammoniten einen Organismus mit Greifarmen und Trichter.

Dementsprechend wird auch vorausgesetzt, dass sich diese Tiere einst frei beweglich in der Wassersäule aufhielten und damit eine schwimmende Lebensweise suggeriert.

Gegen diese Auffassung sprechen einfachste Rückschlüsse aus Beobachtungen an Ceratiten sowohl ihre Biologie als auch ihre Lokomotion betreffend. Zu diesen konträren Ergebnissen gelangt man mit der Auswertung der Informationen auf Steinkernen aberranter Morphen. Derartige von der Norm abweichende Symptome repräsentieren unterschiedlichste Anpassungserscheinungen des Organismus auf pathologisch bzw. traumatisch verursachte Reize. Diese Regenerationsmechanismen ermöglichen mittelbar diagnostische Rückschlüsse auf Funktion und Arbeitsweise der biologischen Organisation des Ceratitentieres.

Für eine ordnungsgemäße Beweisführung standen aus der Analyse der spinosus-Population weitere 2155 endogen veränderte Merkmale zur Verfügung. Ihre Auswertung ergänzt und bestätigt alle bislang gemachten Erkenntnisse.

Im Konsens aller morphologischen und biologischen Besonderheiten, der konsequenten Anwendung der Naturgesetze und Berücksichtigung der ökologischen Gegebenheiten kann somit ein nachvollziehbares Gesamtbild von der Lebensweise der Ceratiten rekonstruiert werden.

Ceratiten- und Nautilus-Gehäuse im Vergleich

Ähnlichkeiten im Gehäusebau von Nautilus und Ammonoideen werden bis in die Gegenwart als Musterbeispiel gemeinsamer morphologischer, physiologischer und funktioneller Eigenschaften betrachtet. Das in Phragmokon und Wohnkammer geteilte Außengehäuse ist jedoch lediglich ein Beleg für ursprünglich gemeinsame Vorfahren mit einem gekammerten gestreckten Gehäuse, denn bereits die spiralige Einrollung der Gehäuseröhre erfolgte unabhängig voneinander in getrennten Entwicklungslinien.

Ein Vergleich des Gehäusebauplanes von Nautilus und Ceratites zeigt, dass lediglich die Gliederung in Wohnkammer und Phragmokon als gemeinsames Merkmal gedeutet werden kann.

Diese gravierend unterschiedlichen morphologisch/biologisch/funktionellen Ausgangsparameter müssen deshalb bei jedem Rekonstruktionsversuch konsequent berücksichtigt werden.



Ceratites-Gehäuse-Schema

Das Ceratiten-Gehäuse ist eine von der kugeligen Anfangskammer (Protoconch = 0,5 mm) ausgehende planspiral aufgerollte in sich geschlossene Röhre. Die im Phragmokon vom apikalen Mantelepithel in die Röhre eingebauten Kammerscheidewände haben eine wellblechartig verformte und dadurch vergrößerte Oberfläche. Der vom Weichkörper bis zur Anfangskammer reichende Sipho verläuft randständig.

Die Manteloberfläche haftet in der gesamten Wohnkammer rundum an der Gehäuseinnenwand (Hypostracum). Sie verhindert damit das Zurückziehen des Kopffußes in das Gehäuse. Mit Ausnahme der immigrierten flexuosen Morphen (200°) beträgt die Wohnkammerlänge bei Ceratites ca. 180°.

Nautilus -Gehäuse-Schema

Das planspiral aufgerollte Nautilus -Gehäuse beginnt mit einer flachen,uhrglasförmigen Kalotte. An diese Anfangskammer (Protoconch = 4,5 x 0,8 mm) schließt sich eine hornartig gekrümmte geschlossene Röhre.

Am Ende der Anfangswindung entsteht beim Überwachsen der Anfangskalotte im Nabelbereich ein Hohlraum, die Nabellücke. Gleichzeitig verändert sich der Bauplan grundsätzlich. Die bis dahin geschlossene Röhre bleibt dorsal geöffnet und die Schale wird lateral/umbilikal an die vorige Windung gekittet (Nahtbildung). Der dorsale Weichkörper liegt nunmehr direkt auf der Ventralseite der vorigen Windung.

Die vom apikalen Mantelepithel eingebauten Kammerscheidewände haben eine einfache konkav gewölbte Form. Sie werden dorsal direkt auf die Ventralseite der vorherigen Windung laminiert. Der Sipho verläuft zentral vom Weichköper bis in die Anfangskammer.

Der Mantel haftet am Hypostracum lediglich apikal an den Muskelansatzstellen und einem schmalen Streifen der Gehäusemündung. Dazwischen "hängt" der mittlere Weichkörper wie der Balg einer Harmonika und ermöglicht damit das Zurückziehen des Kopffußes in das schützende Gehäuse.

Wegen biomechanisch/hydrostatischer Gesetzmäßigkeiten ist die Wohnkammerlänge bei Nautilus auf ca. 130°-150° limitiert.



Das Ceratiten-Gehäuse (Abb. 2a) ist eine planspiral aufgerollte in sich geschlossene Röhre. Das wird beim Überwachsen von Epöken sichtbar, wenn sich dabei die bis dahin regelmäßige Spiralform kurzzeitig abrupt ändert ( Rein 1996). Dies ist bei Juraammoniten noch deutlicher ausgeprägt ( Keupp 1992, 2000)und letztendlich bei kretazischen heterogenen Morphen dauerhaft sichtbar.

Die Nautilus Gehäuseröhre (Abb. 2b) entsteht erst durch "Anschweißen" der offenen Schale an die Lateralseiten der darunter liegenden Windung. Der auf ihr direkt aufliegende Weichkörper scheidet die "black layer" aus, die vor der Gehäusemündung als Unterlage für den Kopffuß und die Kopfklappe dient.

Die Gehäusedarstellung von Klug et. al. (2004) für Ceratiten (Abb. 2c) beruht auf der Unkenntnis der grundlegend morphologischen Unterschiede zwischen Nautiliden und Ammoniten (s. Abb. 2a und 2b). Sie ist deshalb falsch. Weder Kausalität noch Funktion der schwarzen Beläge auf der vorigen Windung einzelner adulter Ceratiten-Individuen können deshalb der "black layer" Bildung von Nautilus gleichgesetzt werden.

Gehäusemorphologie nach traumatisch / pathologischen Ereignissen

Ceratiten-Steinkerne sind Ausgussformen der leeren Schale. Ihre Oberfläche offenbart die Strukturen der Gehäuse-Innenwand und damit Bildungen des Hypostracums (Perlmuttschicht). Da an ihr die gesamte Manteloberfläche haftete, werden auf diese Weise informative Abläufe von regenerativen Prozessen des Weichkörpers sichtbar. Sie erlauben Einblicke in physiologische Vorgänge des Ceratitenorganismus, die bei Schalenerhaltung nicht zu beobachten wären. Dementsprechende förderliche Informationsträger sind ausschließlich Individuen mit verheilten Verletzungen. Aus der Art und Weise wie der Organismus auf die Blessuren reagierte kann auf seine biologische Komplexität geschlossen werden.

Die am Anfang der Nahrungskette im Muschelkalkmeer stehenden individuenreichen Populationen der Ceratiten ( Rein 2003) sind für derartige Untersuchungen bestens prädestiniert. Immerhin wurden 26% der untersuchten Individuen der Isserodaer spinosus -Population zumindest einmal in ihrem Leben erfolglos von Fressfeinden attackiert.

Häufig besitzt ein Individuum mehrere Verletzungsmerkmale. Auf diese Weise wird die Komplexität der Problematik sichtbar. Zum einen ermöglicht die Beschaffenheit der Schalenschäden Rückschlüsse auf den Verursacher. In dieser Form wird die Abhängigkeit der jeweils wechselnden Fressfeindgruppen von der während der Ontogenie zunehmenden Gehäusegröße deutlich.

Zum anderen wird die Abhängigkeit der Regenerierungsweise von der Dimension der Verletzung deutlich. Dabei zeigt sich, dass nicht die Beschreibung von Einzelfällen, sondern das Erkennen von Gesetzmäßigkeiten an Regenerations-Mustern entscheidend ist.

Grundsätzlich sollte dabei zwischen Verletzungen mit und ohne Weichkörperschaden unterschieden werden.

1. Verletzungen ohne Weichkörperschaden

1.1 Schalenfrakturen

Auch auf Steinkernen sind Schalenbrüche zu erkennen. Ob es sich dabei um postmortale Verdrückungen leerer Gehäuse handelt oder Deformationen, die durch Fressfeindeinwirkung unmittelbar zum Tode führten, ist nicht zu unterscheiden. Eine Diagnose von Schalen-Frakturen nach fehlgeschlagenen Fressfeindattacken wird jedoch mit dem Nachweis von Regenerationsmerkmalen zweifelsfrei ermöglicht. Statistisch erfasst wurden 6% ("E" = 5%; "P" = 8%). Durch Fressfeinde verursachte Schalenbrüche, die den Weichkörper nicht verletzten, können zwar die Gehäusemorphologie verändern, sie hinterlassen jedoch keine Narben.

  • Ventrale Schalenfrakturen auf der Wohnkammer

Die informativsten Nachweise entstehen durch Attacken, bei denen durch beidseitig lateral angesetzte knackende Bissverletzungen das Gehäuse ventral bricht. Dabei werden die Bruchflächen der Schale unterschiedlich gegeneinander verschoben. Diese Situation und das Verhalten des Weichkörpers bei der Regenerierung wird modellhaft in Abb. 3 a/b rekonstruiert. Die im mündungsnahen Gehäusebereich nach innen gedrückten Bruchstellen zeigen, dass der Mantel dauerhaft an den Bruchstücken haften blieb und der Weichkörper diese Verformung noch längere Zeit beibehielt. Die narbenfreie Deformation der Externseite erstreckt sich über 110° der Windung und ist ein Beweis für einen unverletzt gebliebenen Weichkörper. Dieses Regerationsmuster gilt für alle Schalenfrakturen bei denen die Ventralseite bis zur Gehäusemündung zerbrochen ist.

Wie Belege zeigen, können davon bis 80% der Wohnkammer betroffen sein (Abb. 4 a/b).



Abb. 3
C. spinosus "E", Isseroda, Größe = 7,9 cm, NME Nr. 94015, modellhafte Darstellung der Regenerierung eines Schalenbruches im ventralen mündungsnahen Gehäusebereich, Zeichnung: S. Brandt





Abb. 4
a) C. spinosus "P", Isseroda, Größe = 10,6 cm, NME Nr. 54084, regenerierter ventraler Schalenbruch der 70% der ursprünglichen Wohnkammer bis zur Gehäusemündung erfasste; b ) C. spinosus "P", Isseroda, Größe = 10,4 cm, NME Nr. 54083, regenerierter ventraler Schalenbruch der 80% der ursprünglichen Wohnkammer bis zur Gehäusemündung erfasste; c) C. spinosus "P", Isseroda, Größe = 12,2 cm, NME Nr. 96842, regenerierter ventraler Schalenbruch hinter der Gehäusemündung der 40% der ursprünglichen Wohnkammer erfasste

Bezeichnend für das Verhalten des Mantelepithels ist die Beobachtung, dass häufig entlang des medianen Bruchverlaufs eine rinnenförmige Vertiefung entsteht (Abb. 4 a). Beim Belegstück wurde die linke marginal gebrochene Schale nach innen verschoben, dabei die ventrale Bruchfläche aufgewölbt und rechts von median in einem weiteren Bruchverlauf rinnenartig nach innen gezogen. Diese Deformation des Gehäuses wird in abgeschwächter Form auch noch nach der Regenerierungsphase beibehalten.

Die rippelartigen Strukturen auf der deformierten Ventralseite sind Reparatur-Bildungen des inneren Mantelepithels. Sie entstanden beim wachstumsbedingten rhythmischen Nachrücken des Weichkörpers. Obwohl bei der Fressfeindattacke 70% der Wohnkammer deformiert und die Wohnkammer zusätzlich von mehr als 30 Placunopsis ostracina besiedelt wurde betrug die Überlebensdauer 6 Septen.

Bei einem weiteren Belegstück (Abb. 4 b) wurde über einen Bereich von 140° bis zur Gehäusemündung fast die gesamte Wohnkammer ventral verformt. Entlang der mittig verlaufenden Bruchkante sind die Schalenteile gegeneinander und zum Teil ineinander verschoben. Dabei kam es im hinteren Bereich median zu einer Aufwölbung und damit zu einer Verringerung des Querschnitts. Die extreme Deformierung des Weichkörpers konnte nach der Fressfeindattacke nicht wieder kompensiert werden. Sie führte im weiteren Verlauf der Ontogenie zu chaotischen skulpturellen Bildungen. Trotzdem beträgt die Überlebensdauer 4 Septen.

Beim Belegstück Abb. 4 c sind 40° der Wohnkammer auf der Ventralseite des Gehäuses hinter der Mündung deformiert. Zur medianen Bruchkante wurde von rechts ein marginaler Schalenabschnitt mit zwei Rippen nach innen verdrückt und dabei der Gehäusequerschnitt deutlich verringert. Die Regenerationsspuren sind auf diesen Gehäusebereich begrenzt und als externe Rippel der Perlmuttschicht beim Nachrücken des Weichkörpers plastisch deutlich zu lokalisieren.

Fazit:

Nautilus kann zwar kleinere Schalenverluste im Haftbereich des Weichkörpers an der Gehäusemündung ohne Querschnittsveränderung regenerieren. Schalenfrakturen im mittleren Wohnkammerbereich entsprechen jedoch Lecks im Gehäuse und sind irreparabel.

Regenerierte Schalenbrüche sind auf Steinkernen der Ceratiten als Spiegelbild der inneren Perlmuttschicht dokumentiert. Diese Lage entspricht der Haftfläche des Mantelepithels in der Wohnkammer.

Die Rekonstruktion des physiologischen Verhaltensmusters der Ceratiten bei großflächigen Schalenfrakturen der Ventralseite ist nur zu explizieren, wenn das Mantelepithel vollständig am Hypostracum der Wohnkammer haftet.

1.1.2 Schalenfraktur an der Gehäusemündung (forma refecta Rein 1994)

Schalenfrakturen an der Gehäusemündung, bei denen der Weichkörper nicht verletzt wurde gehören zu den häufigsten Verletzungen der kleinen Ceratiten-Morphen. Sie belegen die Abhängig zur Größe ihrer Fressfeinde. Trotzdem ist diese Frakturform mit einem Anteil von 4,5% ("E" =4%; "P" =5%) auch bei den größeren spinosen Individuen noch verhältnismäßig häufig in traumatische Ereignisse integriert.

Abb. 5
C. spinosus "P", Isseroda, Größe = 11.8 cm, forma refecta , NME Nr. 94141, modellhafte Darstellung der Regenerierung eines rundum Schalenbruches an der Gehäusemündung ohne Epithelschaden, Zeichnung: S. Brandt




Sie entstehen, wenn bei Schalenfrakturen an der Gehäusemündung das Epithel die Haftung mit den Bruchstücken einbüßt, weil auf diese Weise der Weichkörper seine formgebend stabilisierende Fixierung verliert (Abb. 5a). Der betroffene freiliegende Mantelbereich kontrahiert (Abb. 5b). Dabei kommt es zu einem von der Verletzungsgröße abhängigen wulstförmigen Weichkörperstau vor der Bruchkante. Er ist ein Indiz dafür, dass der Weichkörper nicht in das Gehäuse zurückgezogen werden konnte. Der anschließend vom Mantelepithel flächig ausgeschiedene regenerierte Gehäuseabschnitt besitzt die vorgegebene Wulstform. Sie ist verbunden mit einer Querschnittszunahme. Weil das "Ankitten" des neu gebildeten Schalenmaterials direkt an die Bruchkante erfolgt und nicht wie bei Nautilus unterfangen wird, erscheint der Frakturverlauf auf dem Steinkern scharf begrenzt (Abb 5c/d).


Abb. 6
C. spinosus "P", Isseroda, Größe = 11.5 cm, forma refecta , NME Nr. 94148, regenerierter lateraler Schalenbruch ohne Epithelschaden


Bei einem weiteren Belegstück (Abb. 6 a/b) erfolgte die Fressfeindattacke beidseitig lateral. Sind es auf der rechten Seite nur verschiedene Bissspuren, so wurde die gegenüberliegende Flanke auf einer Fläche von 4,2 x 5,8 cm zertrümmert. Auch hier verlor der Weichkörper sein stabilisierendes Außenskelett und zog sich wulstartig zusammen. Die kurzzeitige Querschnittszunahme des regenerierten Gehäuseabschnittes beträgt 20%. Beim weiteren Gehäusewachstum bleibt das genetisch vorgegebene Skulpturschema unbeeinträchtigt. Ein sicheres Indiz dafür, dass bei der Fressfeindattacke das Mundsaumepithel unverletzt gebliebenen war. Lediglich die Anlage der linksseitigen Skulptur erfolgt mit Verzögerung und wird damit schwach asymmetrisch.

Fazit:

Der rezente Nautilus kann kleinere Schalenverluste an der Gehäusemündung regenerieren. Dabei zieht er das Mundsaumepithel hinter die Bruchkante zurück und unterfängt von innen die Bruchstelle konturlos. Der Gehäusequerschnitt wird dabei nicht und in Ausnahmefällen nur geringfügig verändert. Auf einem Steinkern wäre lediglich eine unscheinbare Vertiefung, der Frakturverlauf jedoch nicht mehr zu erkennen. Schalenverluste von mehr als 4% bedingen bereits eine irreparable Störung des empfindlichen Schwebegleichgewichts ( Ward 1996).

Frakturen der Schale im Bereich der Gehäusemündung, bei denen die Epithelhaftung verloren geht, bedingen bei Ceratiten eine kurzzeitige Zunahme des Gehäusequerschnittes. Diese Volumenvergrößerung vor der Bruchkante ist damit zu erklären, dass Ceratiten ihren Weichkörper wahrscheinlich nicht in das Gehäuse zurückziehen konnten. Die z.T. weit zurückreichenden unskulptierten Ersatzschalen belegen, dass das gesamte Mantelepithel zur Schalenbildung befähigt war und Gewichtskraftverluste keine Rolle spielen. Auch der genetisch vorgegebene Gehäusebauplan wird im Verlaufe der weiteren Ontogenie davon nicht beeinflusst.

  • Sekundärschalenbildung nach Lösen des Mantelepithels vom Hypostracum (forma conclusa Rein 1989)

Das Einziehen von Sekundärschalen unter die Primärschale des Gehäuses (forma conclusa Rein 1989) gehört mit einem Anteil von 6% ( "E" = 52x = 5,5%; "P" = 32x = 6%) zu den informativsten pathologischen Bildungen der Ceratiten überhaupt.



Abb. 7
C. spinosus "E", Isseroda, Größe = 9.5 cm, NME Nr. 95003, modellhafte Darstellung des Einbaues von Sekundärschalen (forma conclusa Rein 1989) bei Schalenerhaltung, Zeichnung: S. Brandt



Bei Schalenerhaltung ist das Einziehen von Sekundärschalen von außen nicht nachzuweisen (Abb. 7). Die nur auf Ceratiten-Steinkernen überlieferten mikritisch verfüllten Lagen zwischen den Lamellen gehören zu den wichtigsten Informationsträgern. Sie sind in ihrer speziellen Beschaffenheit bislang ausschließlich von Steinkernen der germanischen Ceratiten bekannt. Sekundärschalen können vom gesamten Mantel-Epithel an jeder Stelle in der Wohnkammer ausgeschieden werden und in mehreren Lagen unterschiedlich große Flächen unterfangen. Diese Befähigung setzt voraus, dass der Mantel vollständig am Hypostracum haftet. Die mikritische Verfüllung der auf diese Weise entstandenen Hohlräume ist bei Ceratiten der spezifischen Fossildiagenese des Oberen Muschelkalkes zu verdanken.

Median- und Querschnitte machen eindrucksvoll die kausalen Bildungsprozesse für die Entstehung der Sekundärschalen sichtbar. Ihre Anlage erfolgte variabel im gesamten Wohnkammerbereich dort, wo sich höchstwahrscheinlich durch Zugkräfte von außen bedingt der Weichkörper kurzzeitig von der inneren Schale löste. Es handelt sich somit beim Einziehen von Ersatzschalen nicht wie anfangs vermutet, kausal um das Schließen eines Lecks oder Abkapseln eines Parasiten. Ein Schmarotzer im Weichkörper kann schließlich nicht mit einer Sekundärschale isoliert werden.

Die Dynamik ihrer Entstehung wird erst durch Schliffpräparate verständlich (Abb. 9; 12) und zusätzlich durch unterschiedlich dimensioniert ausgeschiedene conellenbildende Substanz ( Rein 1993, Rein & Krause 1994) charakterisiert (Abb. 11). Das Ausmaß dieser organischen Bildungen kann vermutlich Aufschluss über die Intensität des externen Zugriffs eines Fressfeindes, die pathologischen Folgen und/oder einen verfrühten Exitus geben.



Abb. 8
C. spinosus "E", Isseroda, Größe = 10,7 cm, forma conclusa , NME Nr. 94474, Ventral- und Lateralsicht auf einseitige Sekundärschalenbildung im Wohnkammer- und Phragmokon-Bereich mit Markierungen der Schliffbilder (s. Abb. 9 a/d).



Eine Fressfeindattacke auf das Gehäuse mit einseitig wirkenden Zugkräften bewirkte das kurzzeitige Lösen des Mantelepithels von der rechten lateralen Innenschale. Betroffen waren drei Rippen und Teile der dazwischen liegenden Gehäuseflanken. Die Unterfangung erstreckt sich über 100° von der Wohnkammer sowie 7 Septen des Phragmokons. Da Schalenmaterial nur vom Mantelepithel ausgeschieden werden kann, muss die Wohnkammer zumindest den Windungsanteil der sieben Septen (50°) an Wachstum zugelegt haben. Damit besteht die Möglichkeit an der Sekundärschale Spuren des rhythmisch in der Wohnkammer vorrückenden Weichkörpers nachzuweisen. Aus diesem Grunde wurden an den Markierungen a - d des Steinkerns Schliffbilder vom Querschnitt angefertigt (s. Abb. 9 a/d).


Abb. 9
C. spinosus "E", Isseroda, Größe = 10,7 cm, forma conclusa , NME Nr. 94474, Sekundärschalenbildung im Anschliff



Die Schliffe zeigen, dass die anfangs gebildete Sekundärschale adoral beim Vorrücken des Mantels mehrfach nachgebessert wurde. Das geschah in Form eines dreimaligen "Spannungsausgleichs" des Weichkörpers (9 a/b) im Rippenbereich.

Das Beibehalten der ursprünglichen Lage der Sekundärschale auf dem Phragmokon zeigt (9 c/d), dass im Bereich vom Zeitpunkt des Verlassen der Wohnkammer kein weiterer Ausgleich erfolgte.



Abb. 10
C. spinosus "E", Isseroda, Größe = 10 cm, forma conclusa , NME Nr. 95023, Ausbildung der Sekundärschale(n) auf 110° der Wohnkammer, beidseitig lateral und ventral großflächig dimensioniert ohne Conellen


Abb. 11
C. spinosus "E", Isseroda, Größe = 9,4 cm, forma conclusa , NME Nr. 95003, Ausbildung der Sekundärschale(n) auf 160° des Gehäuses, beidseitig lateral und ventral großflächig dimensioniert mit Conellen

An den Beispielen Abb. 10 und 11 wird deutlich, dass Sekundärschalen vom gesamten Mantel-Epithel an jeder Stelle der Wohnkammer ausgeschieden werden können. Sie unterfangen allseitig große Flächen. Ein mehrmaliges Lösen des Epithels von den Schalenneubildungen ist während des Gehäusewachstums anzunehmen. Dabei verringert sich sowohl der Platz für den Weichkörper in der Wohnkammer als auch das Phragmokon-Volumen beträchtlich. Trotz immenser physiologischer Belastung der Individuen bleibt der Septenbau durchgehend normal. Zusätzliche exakte Aussagen zum Regenerierungsverhalten sind nach der Anfertigung von Median- und Querschnitten weiterer Belegstücke zu erwarten.

Obwohl die Anlage der Sekundärschalenbildung auf den Steinkernen ähnlich erscheint, unterscheiden sich beide Individuen durch unterschiedlich produzierte Mengen conellenbildender Substanz. Beim Belegstück Abb. 11 sind Conellen vom Mündungsbereich bis auf den Pragmokon ausgebildet. Sie säumen nach außen die Ränder der Sekundärschale. Als typische forma conclusa in mikritverfüllter Erhaltung erstreckt sich die Unterfangung jedoch nur vom Phragmokon über 115° bis in die Mitte der Wohnkammer. Ihr vorderer Teil ist bis zur Mündung nicht verfüllt. Hier sitzen Conellen zusätzlich noch als Reste der "Hohlraumfüllung" auf der Oberfläche der einstigen Sekundärschale. Dieses Fallstadium der Ausbildung einer unverfüllten forma conclusa bezeichnete Keupp 1977 für jurassische Ammoniten mit forma aptycha . Ohne die Kenntnis der Entstehung des strukturellen Aufbaues einer mikritisch verfüllten forma conclusa ist ihre unverfüllte Erhaltung nicht zu deuten.



Abb. 12
C. evolutus , Legefeld, NME Nr. 93070a, mehrfache pathologische Sekundärschalenbildungen (forma conclusa) im Anschliff mit ausgiebig conellenbildender Substanz


Das Beispiel eines pathologischen C. evolutus verdeutlicht, dass signifikante Details zur Dynamik der Sekundärschalenbildung ausschließlich nur mit Schliffbildern zu erarbeiten sind. Ausgehend von den Spitzen gegenständiger Skulpturelemente erfolgte ein neunmaliges Unterfangen durch Sekundärschalen über einen Zeitraum von 6 Septen. Die vom präseptalen und apikalen Matelepithel ausgeschiedenen ungewöhnlich großen Conchin-Mengen veranschaulichen eine irreparable Schädigung des Mantelgewebes. Beim zehnten Regenerierungsversuch hat die inzwischen extreme Deformierung des apikalen Weichkörpers den Exitus zur Folge.

Fazit:

Nautilus ist zur Ausscheidung von Sekundärschalen nicht befähigt. Bei jurassischen Ammoniten entsteht die Bildung von Sekundärschalen genauso wie bei Ceratites . Diagenetisch bedingt erfolgt jedoch keine Verfüllung der Lamellen mit Mikrit. Eine auf diese Weise sichtbar gewordene Sekundärschalenbildung bezeichnete Keupp (1977) mit forma aptycha . Verschiedene Interpretationsversuche für ihre Entstehung ( Keupp 1994, 1998) verdeutlichen den geringen Informationsgehalt dieser diagenetisch bedingten Erhaltungsform.

Im Unterschied dazu ist die Struktur der Sekundärschalen mit ihren mikritisch verfüllten Zwischenlagen (forma conclusa Rein 1989) die wichtigste Informationsquelle zum Verständnis der biologischen Organisation des Ceratitentieres.

Dazu gehören der Nachweis der vollständigen Mantelhaftung am Hypostracum, Hinweise auf das physiologische Verhalten des Weichkörpers auf Druck- und Zugbelastung, die Produktion von Conchin und Conchinverbindungen, die Koordination der Funktion des präseptalen mit dem apikalen Mantelepithel und des Siphonalapparates sowie die pathologisch/traumatische Belastbarkeit des Ceratiten-Organismus. Indirekt ermöglichen diese Belege Rückschlüsse auf hydrostatische und biomechanische Befähigungen.

2. Verletzungen mit Weichkörperschaden

2.1 Verletzung des ventralen Weichkörpers an der Gehäusemündung

Mit 2 Belegen und einem Anteil von 0,1% ist das ventrale Zusammenwachsen lateraler Skulpturelemente nach Verletzung mit Narbenbildung bei den spinosen Ceratiten der Isserodaer Population eine untypische Verletzung.

Abb. 13
C. spinosus "E", Isseroda, Größe = 9,9 cm, NME Nr. 94143, modellhafte Darstellung der Bildung einer "fastigaten" Skulptur (skulpturelle Kompensation Guex ) als Folge einer Weichkörperverletzung an der Gehäusemündung. Zeichnung: S. Brandt.


Bei einer Fressfeindattacke können an der Gehäusemündung unterschiedlich große Bereiche des Weichkörpers mit dem skulpturbildenden Mundsaumepithels und Teilen der Schale verletzt werden (Abb. 13 a). Ceratiten sind nicht befähigt die verlustige Weichkörpermasse zu regenerieren. Sie sind aber in der Lage z.T. weit auseinander klaffende Wundränder miteinander verheilen zu lassen. Dabei kann sich der Gehäusequerschnitt deutlich verringern. Zusätzlich bleibt immer eine dauerhafte Narbe (Abb. 13 b).

Bei der Regeneration werden Teile des lateralen Mundsaumes bis auf die ventrale Gehäuseseite gezogen. Dabei kommt es zum Verschmelzen lateraler Skulpturelemente auf der normal unskulpturierten Ventralseite (Abb.13 b/c). Dieses von verletzten jurassischen Ammoniten bekannte Regenerations-Phänomen bezeichnete Guex (1968) als "compensatio ornamentale" (skulpturelle Kompensation).

Beim Belegstück (Abb. 13 c) lösten sich bei der kombinierten Schalen- und Weichkörperverletzung an der Gehäusemündung zusätzlich Teile des vorderen ventralen Mantelepithels vom Hypostracum. Es kam zur Bildung einer Sekundärschale mit reichlich conellenbildender Substanz (forma conclusa ).

Fazit:

Bei Ceratiten haben Weichkörper-Verletzungen des ventralen Mundsaumbereiches skulpturverändernde Deformationen mit Narbenbildung zur Folge. Sie bedingen eine Verkleinerung des Gehäusequerschnittes und damit eine Verringerung der Auftriebskraft. Derartige Verletzungen des Weichkörpers sind vom Organismus des rezenten Nautilus nicht zu kompensieren.

2.2 Punktuelle Reizung des Mantelepithels auf der Wohnkammer (Rillenbildungen)

Rillen entstehen durch punktuelle Verletzung der Schale auf der Wohnkammer, bei denen das darunter haftende Mantelepithel geringfügig verletzt wird. 11% ("E" = 10%; "P" = 15%) der Individuen sind variabel auf diese Weise geschädigt. Abhängig von der Dimension der Epithel-Reizung wird beim Gehäuse-Wachstum kontinuierlich conellenbildende Substanz in Schwielenform an das Hypostracum laminiert. Häufig bleiben davon Reste in Form von Conellen auf dem Steinkern erhalten.

Abb. 14
Rillenbildung nach erfolgter punktueller Weichkörperverletzung 78° vor der Gehäusemündung, C. spinosus "E", Isseroda, NHMS-WT Nr. 631, Größe 9,4 cm





Bei Schalenerhaltung deutet lediglich die punktuelle Einbruchstelle auf eine Verletzung. Die Rille selbst wird erst auf dem Steinkern als Negativ-Abdruck der Kalkschwiele sichtbar. Derartige Bildungen entstehen in einem beliebigen Abstand zur Gehäusemündung. Diese Distanz zum Mundsaum bleibt beim Gehäuse-Wachstum konstant. Damit kann man auf dem Steinkern sowohl den ontogenetische Zeitpunkt der Verletzung, die Position des Angreifers und die Überlebensdauer exakt ermitteln. Zuerst muss vom Phragmokon ausgehend die fiktive Mündung der ca. 180° langen Wohnkammer markiert werden. Auf dem Steinkern des Belegstücks endet die Rille 78° vor der Mündung. Dieser Winkel ist identisch mit dem Abstand der punktuellen Schalenfraktur zur interimistischen Gehäusemündung beim Verletzungszeitpunkt.

Fazit:

Rillenbildungen auf Ceratitensteinkernen entstehen durch punktuelle Epithelreizungen des Mantelgewebes, das beim Gehäuse-Wachstum kontinuierlich conellenbildende Substanz in Schwielenform an das Hypostracum laminiert. Voraussetzung für diese Befähigung ist die vollständige Haftung des Mantels an der Innenwand der Wohnkammer. Gleichartige Verletzungen der Wohnkammer des rezenten Nautilus erzeugen ein Leck und sind deshalb irreparabel.

2.3 Verletzung des Mantelepithels auf der Wohnkammer (Furchenbildungen)


Abb. 15
C. spinosus "E", Isseroda, Größe = 11,4 cm, NME Nr. 93006, Furchenbildung nach größerer lateraler Schalen- und Weichkörperverletzung vor der Gehäusemündung.


Der Zugriff des Fressfeindes erfolgte beidseitig an mehreren Stellen. Nur der zwei Zentimeter bis zum interimistischen Mundrand zugefügte Schalenbruch hatte eine größere Weichkörperverletzung zufolge.

Das Zusammenwachsen der Wundränder führte zu einer Verspannung des mündungsnahen Weichkörpers.

Damit wird das marginal/ventrale Hochziehen der folgenden drei Rippen auf der Gegenseite beim Gehäusewachstum verständlich (Abb. 15 a/b). Erst an der vierten Rippe verliert sich der Spannungsreiz.

Die parallel dazu erfolgte Entstehung der auf dem Steinkern skulpturlosen rechten Wohnkammerflanke (Abb. 15 c) lässt sich ursächlich mit den Vorgängen bei der Bildung von Sekundärschalen (forma conclusa ) erklären. Das Epithel des unter Spannung stehenden mündungsnahen Weichkörpers schied vermehrt conellenbilde Substanz aus und formte eine (mehrere) Sekundärschale(n) unter normal skulpturierter Primärschale. Conellenreste in den Narben der marginal gerundeten skulpturlosen Steinkernoberfläche belegen, dass es sich um eine Unterfangung handelt. Entweder wurde der entstehende Hohlraum postmortal nicht mikritisch verfüllt oder die Füllung erodiert. Sie entspräche damit dem Fallstadium einer forma aptycha.

Fazit:

Furchenbildungen auf Steinkernen entstehen durch Frakturen der Schale auf der Wohnkammer, bei denen auch der darunter haftende Weichkörper verletzt wird. Abhängig von der Dimension der Verletzung werden zur Regenerierung größere Mengen conellenbildende Substanzen ausgeschieden. Die dabei durch das Zusammenfügen der Wundränder entstehenden Verspannungen des Mantelgewebes können Sekundärschalenbildungen und kurzzeitige Skulpturänderungen bewirken.

3. 3 Bildungen des hinteren Mantels

Eindeutige Nachweise von Ansatzfeldern der Haftstrukturen des präseptalen Mantels sind auf den Steinkernen der Isserodaer C. spinosus -Population mit einem Anteil von 10% ("E" = 11%; "P" = 7%) nicht selten. Teilweise sind sie gemeinsam mit organischen intrakameralen Strukturen des apikalen Mantelgewebes auf dem Steinkern überliefert. Der Anteil der Individuen mit organischen Membransepten beträgt 5% ("E" = 5%; "P" = 3%).

Voraussetzung für das Erkennen identischer Bildungen ist ein besonderer Erhaltungszustand. Ursächlich können sie auf Reizung des hinteren Mantelepithels zurückgeführt werden. Sind davon die lateralen und ventralen präseptalen Mantelbereiche betroffen, macht sich das in einer überdimensionierten Ausscheidung conellenbildender Substanzen und nach ihrer Lösung in narbenförmigen Vertiefungen auf der Steinkernoberfläche bemerkbar.

Durch Reizung präseptaler und apikaler Abschnitte des Mantels, kommt es zur Ausbildung organischer Septenstrukturen. Beide Vorgänge werden getrennt beschrieben.

3.3.1 Siphoeinbau und Haftstrukturen des präseptalen Mantelgewebes




Abb. 16
Haftstrukturen des präseptalen Mantelgewebes, C. evolutus , FO Legefeld, NME 93070b

Zum besseren Verständnis der auf den Tafeln I und II gezeigten Beispiele der spinosen Ceratiten wird die pathologische Reaktion des präseptalen Mantelepithels am Schliffbild eines C. evolutus verwendet. Die mehrfache Bildung von Sekundärschalen (forma conclusa Rein ) am Übergang zum Phragmokon geht von den marginalen Skulpturelementen aus und erstreckt sich über einen Zeitraum von 6 aberranten Septen. Dabei werden ungewöhnlich große Mengen Conchin in laminierter Form (Septen, Sipho, Sekundärschale) ausgeschieden. Gleichzeitig wird der apikale Weichkörper immer weiter deformiert, der Sipho nach unten verlagert und sein Querschnitt vergrößert. Die laminierte schwarze Substanz entspricht dem Ausgangsprodukt der postmortal diagenetisch gebildeten Conellen. Nach Lösung dieser spezifischen organisch/anorganischen Strukturen entstehen auf den Steinkernen narbenähnliche Vertiefungen.

Ausgehend vom medianen Siphoeinbau kann der lateralen Anheftung des Septums bis zum dritten Lobus folgend ein Conchin-Laminat auch überdimensioniert ausgeschieden werden. Es entspricht einer Sekundärschalenbildung (forma conclusa Rein ). Abhängig von der Mächtigkeit der damit entstandenen conellenbildenden Substanz resultiert daraus auf dem Präseptalfeld des Steinkerns eine flächige Vertiefung (Tafel I, Abb. a-f, Tafel II, Abb. a-e). Ihre ursächliche Entstehung wird erst durch die erhaltenen gebliebenen Conellen verständlich (Tafel I/II, Abb. a-c). Die vertiefte Ausformung ist dem Suturverlauf bis zum dritten Lobus angepasst und verkörpert faktisch die Oberflächenstruktur einer "Sekundärschale" (Fallstadium forma aptycha Keupp). Da die "Narbentiefe" mit der Dickenzunahme der Originalschale übereinstimmt, entspricht ihre Masse faktisch einer damit verbundenen Gewichtskraftzunahme.

Als aberrante Bildungen des präseptalen Wohnkammerabschnittes ermöglichen die unterschiedlichen "Narbenbildungen" erste Rückschlüsse auf die biologische Organisation des präseptalen Mantels (Abb. 16). Das Ausmaß der Folgen nach einem kurzzeitigen Verlust der Haftung des Mantelepithels an der Gehäuseinnenwand hängt von der Intensität der Fressfeindattacke ab. Diese korreliert offensichtlich mit der Menge der ausgeschiedenen conellenbildenen Substanz. Signifikant erscheint im Zusammenhang damit der ventral häufige diffizile Siphoeinbau (Abb. 16, Tafel II, a-f) und die "Narbenbildung" entlang der Sutur bis zum dritten lateralen Lobus. Besondere Aufmerksamkeit verdient die stets vom dritten Lobus ausgehende bogenförmige Struktur bis zur Nabelkante (Tafel I, a-f). Der morphologische Aufbau dieser rätselhaften umbilikalen Bildungen kann erst durch Schliffpräparate rekonstruiert werden.

Tafel I

a C. spinosus "E", Isseroda, H = 4,1 cm, NME Nr. 93067, Conellen als Indikatoren der lateralen Haftflächen des präseptalen Mantels, umbilikal ist eine markante nach vorn gebogene Struktur

b C. spinosus "E", Isseroda, H = 4,2 cm, NME Nr. 95270, die Conellen reichen drei Kammern auf den Phragmokon zurück, umbilikal die markante nach vorn gebogene Struktur

c C. spinosus "E", Isseroda, H = 4,3 cm, NME Nr. 95471, die Conellen zeigen, dass der präseptale Mantel entlang des Septums bis zum dritten lateralen Lobus verstärkt haftete und danach bogenförmig nach vorn ausweicht

d C. spinosus "E", Isseroda, H = 3,0 cm, NME Nr. 94089, unter der "Narbenbildung" ist die nachträgliche Anlage eines Septums und die markante umbilikale Struktur zu erkennen.

e C. spinosus "E", Isseroda, H = 3,1 cm, NME Nr. 94378, die "Narbenbildung" kann schmal und kantig entlang des Septums verlaufen

f C. spinosus "E", Isseroda, H = 3,1 cm, NME Nr. 96141, die "Narbenbildung" kann zum Septum scharf begrenzt und adoral zur Wohnkammer übergangslos ausgebildet sein

g C. spinosus "P", Isseroda, H = 4,6 cm, NME Nr. 95383, die Form der Narben in den Loben gleicht den von Weitschat & Bandel (1991) als "dorsale Muskelansätze" gedeuteten Bildungen, dünne limonitische Lagen auf dem Steinkern könnten als Reste der Pellicula definiert werden

h C. spinosus "E", Isseroda, H = 3,1 cm, NME Nr. 96032, "Narbenbildungen" im hinteren Bereich des Phragmokons belegen, dass pathologische Beschwerden auch langzeitig überlebt werden konnten.

Tafel II

a C. spinosus "P", Isseroda, B = 2,9 cm, NME Nr. 94344, conellenbildende Substanz ventral noch flächig auf zwei Septen übernommen, Sipho abgesenkt

b C. spinosus "P", Isseroda, B = 3,0 cm, NME Nr. 94338, Conellen ventral auf zwei Septen erhalten, Sipho (5 mm breiter Schaft) abgesenkt, Entstehung der "Narbenbildung" deutlich zu erkennen

c C. spinosus "E", Isseroda, B = 3,6 cm, NME Nr. 94415, Conellenreste im breiten "Narbenbereich" erhalten, Sipho (5 mm breiter Schaft) nach mehrmaligen Ansatz abgesenkt

d C. spinosus "E", Isseroda, B = 2,4 cm, NME Nr. 94397, ventrale "Narbenbildung" des abgesenkten Siphos (5 mm breiter Schaft) über drei Septen

e C. spinosus "E", Isseroda, B = 2,7 cm, NME Nr. 94463, großflächige "Narbenbildung" des apikalen Mantels und mehrmaliger vergeblicher Ansatz zum Absenken des Siphos (5 mm breiter Schaft)

f C. spinosus "E", Isseroda, B = 2,1cm, NME Nr. 96032, ventrale "Narbenbildung" des abgesenkten Siphos (4 mm breiter Schaft) über zwei Septen in der Mitte des Phragmokons

g C. spinosus "E", Isseroda, B = 3,0 cm, NME Nr. 94354, organische Septenmebranen in zwei Kammern mit verstärktem Sipho

h C. spinosus "E", Isseroda, B = 2,5cm, NME Nr. 94462, intrakamerale organische Septenmembranen in der Mitte des Phragmokons

i C. spinosus "E", Isseroda, B = 2,0 cm, NME Nr. 94473, Siphonallamellen in acht Septen

j C. spinosus "E", Isseroda, B = 2,7 cm, NME Nr. 94325, organische Septenmebranen im letzten Septum mit vergrößertem Sipho

k C. evolutus , Legefeld, H 2,1 cm, NME Nr. 93050, organische Septenmebranen im letzten Septum als Reaktion auf laterale Sekundärschalenbildung

l C. spinosus "E", Isseroda, B = 2,1 cm, NME Nr. 94400, Siphonallamellen im mittleren Phragmokonabschnitt

m C. spinosus "E", Isseroda, B = 2,0 cm, NME Nr. 94380, organische Septenmebranen im mittleren Phragmokonabschnitt mit "Narbenbildung" des abgesenkten Siphos

Fazit:

Die Strukturen im präseptalen Wohnkammer-Bereich zeigen, dass auch hier das gesamte Mantelepithel am Hypostracum haftete. Trotz vielfältiger Regenerationsversuche ist die Mortalität in der Regel sehr hoch. Sie kann aber häufig über einen Zeitraum einiger Septen hinausgezögert werden (Tafel I, b/d; Tafel II, a/b/d). In Ausnahmefällen gelingt jedoch die Regenerierung und bei längerer Überlebenszeit verliert sich die "Narbenbildung" (Tafel I, g/h; Tafel II, f ). Erkrankungen des präseptalen Mantelepithels sind demnach heilbar. Der rezente Nautilus ist weder physiologisch noch biomechanisch zu derartigen Bildungen befähigt.

3.3.2 Bildungen des apikalen Mantelgewebes


Abb. 17
Intrakamerale organische Septenmembranen nach allseitiger Reizung des präseptalen und apikalen Mantelgewebes, C. evolutus , FO Legefeld, NME 94434a



Auch hier wird zum besseren Verständnis der auf der Tafel II gezeigten Beispiele der spinosen Ceratiten die pathologische Reaktion des apikalen Mantelepithels am Medianschnitt eines C. evolutus verwendet. Die großflächige Reizung des lateralen und ventralen Mantels zwischen zwei Skulpturelementen erstreckt sich über einen Zeitraum von 7 aberranten Septen. Dabei wurden große Mengen Conchin an der präseptalen Innenwandung und dem Haftbereich der Septen ausgeschieden (schwarze Substanz auf dem Steinkern). Wachstumsbedingt rückt der apikale Weichkörper in unregelmäßigen Abständen in der Röhre vor. Schließlich kommt es auch zur Ausbildung durchgehender organischer Septen, die ventral von einem überdimensionierten Sipho ausgehen. Danach erfolgt eine ungewöhnliche Gefüge-Umkehr des apikalen Weichkörpers in der Wohnkammer. Mit einem Anteil von 5% ist die Ausbildung organischer Lamellen der Individuen der spinosus Population nicht selten. Das apikale Mantelepithel war demnach befähigt organische Wandbeläge (Pellicula) und variable organische Membranen als intrakamerale Strukturen zwischen verkalkte Septen einzubauen. Der Nachweis eines ursächlichen Zusammenhanges mit pathologisch/traumatisch bedingten Anomalien ist eine Bestätigung früherer Beobachtungen ( Rein 1995). Die gleichzeitige Ausbildung siphonaler "Narbenstrukturen" mit organischen Lamellen (Tafel II, j/m) ist ein Beleg für ihre kausal gemeinsame Entstehung. Sowohl Siphonallamellen (Tafel II, g/i/l) als auch Transversallamellen (Tafel II, h/j/m) sind sichere Indikatoren für kritische Situationen im Verlaufe der Ontogenie einzelner Individuen. Ihr Auftreten auf dem Phragmokon ist zeitlich begrenzt, erstreckt sich nur selten über mehr als fünf Kammern und ist jeweils mit der Ausbildung einer überdimensionierten Sipho-Röhre verbunden. Alle organischen intrakameralen Strukturen besitzen demzufolge lediglich eine kurzzeitige Zusatzfunktion. Folglich arbeiten die Organsysteme der Ceratiten normal mit einem Kammerapparat ohne zusätzliche Lamellen.

Fazit:

Organische Lamellen sind das Produkt physiologischer Reaktionen auf pathologische Reize des apikalen Mantelepithels. Trotz vielfältiger Regenerationsversuche ist auch bei der Anlage organischer Membransepten die Mortalitätsrate hoch. Wenn jedoch eine Wiederherstellung erfolgreich über den Zeitraum mehrerer Septen gelingt (Tafel II, h/i), kehrt der Kammerbau zur Normalität zurück. Gewebeschäden des apikalen Mantels sind demnach heilbar. Organische Membranen haben folglich kausal eine physiologische den Heilprozess fördernde Aufgabe. Sie übernehmen dabei eine stoffwechselfördernde Funktion. Zur Bildung intrakameraler organischer Septen-Membranen ist Nautilus nicht befähigt. Alle zusätzlichen die Gewichtskraft vermehrende Strukturen im Phragmokon beeinträchtigen das Schwebegleichgewicht.

4. Der Phragmokon - s. Gould -Zitat

Bestes Beispiel dafür ist das Postulat einer schwimmenden/schwebenden Lebensweise der Ammoniten mit der Funktion des Phragmokons als "hydrostatischer Auftriebsapparat".

Durch Berechnungen der Auftriebs- und Gewichtskraft planulater und oxyconer Ammoniten mittels eines mathematischen Modells ( Ebel 1983, 1990) konnte gezeigt werden, dass alle solche Formen sehr wahrscheinlich zu schwer waren, um schweben zu können; auch dann, wenn alle Kammern vollständig luftgefüllt waren.

Diese Berechnungsergebnisse wurden jedoch von manchen Autoren in Frage gestellt oder sogar einfach als falsch bezeichnet, ohne dass jemals irgendwelche stützende Beweise erbracht wurden ( Engeser 1996, Westermann 1996). Schon die bloße Vorstellung einer bodenbezogenen Lebensweise erscheint manchen Autoren als absurde Idee ( Keupp 2000). Das Nautilus -Modell wird allgemein ohne kritisch zu hinterfragen auch für Ammoniten übernommen.

Die Bewertung der anomalen Bildungen der spinosen Morphen offenbart eindrucksvoll, dass der Ceratiten-Weichkörper keinerlei morphologische und biologische Gemeinsamkeit mit Nautilus besitzt.

Ein Phragmokon-Vergleich mit dem Bau verkalkter Septen inklusive einer Pellicula ( Bayer 1975, Weitschat 1986) belegt scheinbar Gemeinsamkeiten. Diese werden jedoch bereits bei einem Funktions-Vergleich umgehend relativiert. Die Erhaltung des ungefähren Schwebegleichgewichtes muss von Nautilus ständig mit seinem individuellen Wachstumsprozess abgestimmt werden. Das erfolgt, indem die Gewichtskraftzunahme (Schale plus Weichkörper = G) ständig der Auftriebskraftzunahme (Gehäusevolumen = A) angepasst wird. Dabei spielt der exakt koordinierte Einbau der Septen mit den letzten zwei flüssigkeitsgefüllten Kammern lediglich eine ausgleichende gewichtskraftregulierende Rolle.

Bereits beim Einbaurhythmus der Septen endet die vermeintliche Übereinstimmung. Ceratiten verfügen über keinen gleichmäßig rhythmisch auf das Gehäusewachstum abgestimmten Montageplan der Kammern. Die Septenabstände variieren abhängig von ontogenetischen Gegebenheiten und können traumatisch/pathologisch verursacht chaotische Formen erlangen.

Noch gravierender werden die Divergenzen mit dem Einbau organischer Strukturen in den intrakameralen Räumen. Sowohl der heterogene Einbaurhythmus der Septen als auch die Existenz organischer Lamellen belegen, dass selbst beim Phragmokon keine funktionsmorphologischen Gemeinsamkeiten mit Nautilus zu erkennen sind.

Trotz bedeutungsvoller Unterschiede wird die Phragmokon-Funktion unkritisch für Ammoniten übernommen und dem Phragmokon weiterhin ungeprüft die Aufgabe eines "hydrostatischen Auftriebsapparates" vorgegeben, der das Körpergewicht so zu kompensieren hat, dass das Tier im Gleichgewicht mit seiner Umgebung ist.

So werden von Weitschat & Bandel (1991) die organischen Membranen mit den organischen "Tapeten" der Kammerwände im Phragmokon des rezenten Nautilus homologisiert. Diese Pellicula spielt eine besondere Rolle beim osmotischen Pumpvorgang, wenn die Kammerflüssigkeit nicht mehr im direkten Kontakt mit dem Siphonalrohr steht. Demzufolge gehen Weitschat & Bandel davon aus, dass auch die organischen Membranen in der Kammerflüssigkeit liegen und nehmen an, dass Ammoniten damit etwa zehnmal soviel Wasser parat hatten wie der rezente Nautilus für seine Pellicula.

Sie erachten, dass sich damit "neue Erkenntnisse bezüglich der Funktionsmorphologie von Ammonoideen- Gehäusen besonders im Zusammenhang mit Schwimmfähigkeit, Lokomotion und Lebensweise" ergeben. Ammoniten müssten demnach um ein vielfaches effektiver manövrieren können als der rezente Nautilus . Keupp (1992) schlussfolgert sogar, dass Ammoniten mit Hilfe der vergrößerten Osmosefläche der "Conchiolinlamellen" eine schnellere vertikale Fluchtmöglichkeit entwickeln konnten.

Es ist bezeichnend und eine Bestätigung des eingangs aufgeführten Gould -Zitates, dass keine Bedenken zur Ausgleichsfähigkeit des immerhin zehnfach überhöhten Ballastgewichtes geltend gemacht werden, obwohl es sich um Organismen handelt, die im Schwebegleichgewicht in der Wassersäule verharren sollen.

Mit der um ein vielfaches erhöhten Gewichtskraft und dem auf hydrostatischen Gesetzen beruhenden Unvermögen zum Gewichtsausgleich, scheidet ein Schwebezustand aus. Eine eindrucksvolle Bestätigung der Ergebnisse des mathematischen Modells von Ebel (1983).

Durch den Nachweis der Kausalität zwischen der Bildung organischer Lamellen als Reaktion auf pathologische Reize eröffnet sich eine neue Sicht der Phragmokon-Funktion.

Optimal und zweckdienlich arbeiten organische Membranen sicherlich nur in Flüssigkeiten. Ihr zeitlich und räumlich begrenztes Auftreten erstreckt sich auf dem Phragmokon nur selten über mehr als fünf Kammern und ist jeweils mit der Ausbildung einer überdimensionierten Sipho-Röhre verbunden. Hierin ist zweifellos ein Zusammenhang mit regenerativen Prozessen zu erkennen. Intrakamerale organische Strukturen besitzen demzufolge lediglich eine kurzzeitige Zusatzfunktion. Sie haben daher kausal eine physiologische, den Heilprozess fördernde Aufgabe und übernehmen auf diese Weise eine stoffwechselfördernde Funktion. Im Normalfall arbeiten die Organsysteme der Ceratiten mit einem Kammerapparat ohne zusätzliche Lamellen. Deshalb ist anzunehmen, dass diese Kammern auch dann zur Kontaktierung der Pellicula flüssigkeitsgefüllt sind. Der Ceratiten-Phragmokon wäre folglich kein "hydrostatischer Apparat", sondern als Stoffwechselorgan ein weiteres logisches Indiz für eine vagil-benthische Lebensweise der Ceratiten.

5. Rekonstruktion des Ceratitentieres und seiner Lebensweise

Die Rekonstruktion der Biologie eines unbekannten lediglich fossil überlieferten Tieres und seiner Lebensweise ist immer hypothetisch. Bei Ceratites basiert sie auf der Summe aller auf den Steinkernen überlieferten Informationen im Vergleich mit dem rezenten Nautilus . Die konsequente Berücksichtigung geltender Naturgesetze erlaubt Rückschlüsse auf das Mögliche und schließt gleichzeitig unvereinbares eindeutig aus.

Hydrostatische Aspekte

Bei konsequenter Anwendung der hydrostatischen Gesetze auf die Befunde der Ceratiten werden zwei eindeutige Aussagen möglich:

a) Die Fähigkeit, dass Ceratiten in der Lage waren ein Schwebegleichgewicht auszutarieren, kann mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Ceratite s toleriert Gewichtskraft-Veränderungen jeder Art ohne sichtbare Reaktionen beim Kammerbau. Den Nachweis dafür liefern folgende Belege:

- keine Reaktion auf Vergrößerung der Gewichtskraft durch echte Epökie mit Placunopsis ostracina ( Rein 1996,1998,2000) , große Mengen conellenbildende Substanzen ( Rein 1993) , flüssigkeitsgefüllte Kammern mit organischen Strukturen (( Rein 1995)

- keine Reaktion auf plötzliche Verringerung der Gewichtskraft durch Schalenverluste ( Rein 1994) oder Weichkörperverluste (Rein 2000)

- keine Reaktion auf plötzliche Vergrößerung der Auftriebskraft durch Volumenzunahme (forma refecta ) ( Rein 1994, 2000)

- keine Reaktion auf plötzliche Verringerung der Auftriebskraft durch Volumenabnahme bei unterschiedlichen Schalenbrüchen Weichkörperverlusten

- keine Reaktion auf ständig unkontrollierbaren Wechsel der Auftriebs- und Gewichtskraft beim Wachstum stark skulpturierter Individuen und Individuen mit chaotisch alternierender Skulptur ( Rein 2000,2004)

Alle aufgeführten Verhaltensweisen müssen dahingehend gedeutet werden, dass ihr Kammerapparat kein gewichtsregulierendes Organ für Schwimmer sein konnte

b) Ceratiten waren mit ihrer Wohnkammerlänge von 180° nicht in der Lage, sich kontrolliert mit Trichterschub schwimmend zu bewegen.

Jede Lokomotion erfordert eine Kraft, die größer als der negative resultierende Auftrieb des Ceratiten sein muss. Die biomechanisch bedingte geringe Gehäusestabilität zeigt, dass dies mit einem Rückstoßeffekt nicht zu realisieren war ( Rein 1996, 2000). Ceratiten waren zum Schwimmen mit Trichterschub nicht befähigt und konnten sich nur mit ständigem Bodenkontakt fortbewegen ( Rein 1996) .

Biologische und ökologische Aspekte

Die wertvollsten Erkenntnisse über das Populationsverhalten der Ceratiten liefert die Analyse der Mundwerkzeugreste in Konservatlagerstätten. Das stets gleichbleibende prozentuale Verhältnis der Alterstufen-Verteilung in den "Mundwerkzeug"-Pflastern ( Rein 1999, 2000, 2003) dokumentiert ein enges Zusammenleben bei vagil-benthischer Lebensweise der Ceratiten in einer Generationen-Gemeinschaft. Ihre sehr große Regenerationsrate deutet auf "r"-Strategie.

Sowohl der identische Bau der Mundwerkzeuge, der eine beißende Funktionsweise verhindert, als auch die ungewöhnlichen Populations-Größen schließen eine carnivore Ernährung aus. Denkbar ist die Aufnahme einer niedrig-energetischen Nahrung aus dem Weichboden und daraus resultierend eine geringe Mobilität der Ceratiten. Die vollständige Haftung des Weichkörpers in der Wohnkammer verhinderte vermutlich das Zurückziehen des Kopffußteiles. Auf diese Weise wurde die permanente Bodenhaftung als Voraussetzung für eine stabile Gehäuseposition ermöglicht.

Dies entspricht einer am Ausgangspunkt der stammesgeschichtlichen Entwicklung der Mollusken vermuteten Lebensweise. Als weitere Legitimation dieser Hypothese könnte das Ergebnis einer Sauerstoffisotopen-Analyse gewertet werden ( Moriya et. al. 2003). Außerordentlich gut erhaltenes Plankton und Benthos aus dem Campan von Hokkaido mit neun Ammonitenarten zeigte klar den bodennahen Lebensort von Ammoniten. Anders als Nautilus machten die untersuchten Ammoniten keine vertikalen Wanderungen in der Wassersäule.





Abb. 18
Rekonstruktion der vagil-benthischen Lebensweise einer Population spinoser Ceratiten. Modelle: S. Brandt

Dank

Im vorliegenden Teil III der umfangreichen Populations-Analyse der Isserodaer spinosen Ceratiten werden die letzten Untersuchungsergebnisse vorgestellt. Viele Fragen zur Ceratitenforschung konnten beantwortet werden. Ich bin jedoch überzeugt, dass damit erst ein Teil des vorhandenen Informationsgehaltes erfasst wurde. Es ist mir ein Bedürfnis, mich noch einmal bei den Herren Peter Gensel und Peter Thieme aus Weimar, Herrn Klaus Ehrhardt (Stadtilm) und Herrn Detlef Schlegel (Saalfeld) für die Sicherung und Bereitstellung des einmaligen Belegmaterials zu bedanken. Dank sagen möchte ich auch den Mitarbeitern vom Erfurter Naturkundemuseum für die vielfältige Unterstützung meiner Arbeit. Bei Herrn Sebastian Brandt (Erfurt) bedanke ich mich ganz herzlich sowohl für die Anfertigung der Detailzeichungen als auch für den Bau der Rekonstruktionsmodelle. Herr Klaus Ebel (Markdorf) unterstützte mich in dankenswerter Weise mit Übersetzungsarbeiten.

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