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Veröffentlichungen Naturkundemuseum Erfurt 22/2003 S. 29-50

Zur Biologie der Ceratiten der spinosus-Zone
- Ergebnisse einer Populationsanalyse -

Teil I: Populationsstatistik, Sexual-Dimorphismus und Artkonzept

SIEGFRIED REIN, Erfurt-Rhoda

Zusammenfasssung

Mit 1500 aus einer 3-5 cm mächtigen Ton/Mergel-Lage stammenden Belegstücken wird erstmalig die umfassende Bearbeitung spinoser Ceratiten auf Populationsebene ermöglicht. Die Analyse basiert auf ca. 80 000 mit einem speziellen Computer-Programm statistisch erfassten morphologischen und biologischen Daten. Eine unterschiedliche Strategie im Gehäusebau ermöglicht die Trennung in zwei grundverschiedene Morphen "E" und "P". Besonders wertvolle Rückschlüsse auf die Individualentwicklung konnten mit neuen statistischen Methoden bei der Analyse des Septenbaues gezogen werden. Dafür wurde das ontogenetische Verhaltensmuster dieser Dimorphen in acht aufeinander folgenden Größenklassen getrennt erfasst. Die Ergebnisse der Bearbeitung verändern das bisherige Bild von Biologie und Taxonomie der germanischen Ceratiten erheblich.
1. Alle Individuen der Isserodaer Population sind Vertreter einer Spezies.
2. Die Morphen "E" und "P" bilden innerhalb der Population zwei ontogenetisch eindeutig abgrenzbare Individuengruppen.
3. Das ontogenetische Verhaltensmuster der Dimorphen gleicht dem Verhalten weiblicher und männlicher Individuen in rezenten Fortpflanzungs-Gemeinschaften. Die verwendeten Begriffe "E" und "P" stehen deshalb bei Ceratiten für Sexual-Dimorphismus.
4. Alle von WENGER (1957) zu C. (A.) spinosus gestellten und in der Revision aufgeführten höheren und niederen Taxa fallen in die Variationsbreite der Isserodaer Population. Sie verlieren mit dem Nachweis des Sexual-Dimorphismus einer Spezies ihren bisherigen Gattungs- und Artstatus.
5. Die Ceratiten der Isserodaer Population gehören zu einer Chronospezies Ceratites spinosus PHILIPPI. Ihr phänotypisches Erscheinungsbild wird durch zwei Morphen geprägt. Dieses Dimorphismus-Phänomen führt in zwei parallelen Entwicklungslinien durch die gesamte Ceratiten-Phylogenese. Mit dem Nachweis von Sexual-Dimorphismus wird der bislang vermutete evolutive Wandel der Gattung Ceratites mit einer Biospezies belegt.
6. Bei Bestätigung dieses Gesamt-Verhaltens mit der Populations-Analyse einer weiteren Ceratiten-Biozone, ist eine Nomenklatur-Änderung der Gattung Ceratites unvermeidlich.

Summary

The presence of 1500 specimens of spinose ceratites collected from a 3 cm to 5 cm thick layer consisting of clays and marls made possible for the first time a comprehensive study of these forms on a populational level. The analysis is based on approximately 80.000 morphological and biological data, evaluated by a special computer program. The recognition of a different strategy as to the shell structure allows the separation of two completely different morphospecies "E" and "P". Particularly valuable conclusions regarding the individual ontogeny could be drawn, utilizing new statistical methods for the analysis of the septal formation. For this purpose the ontogenetic behavioural patterns of these dimorphs within 8 successive size classes were separately included in a statistical survey. The results of this study suggest a considerable change of former ideas as to biology and taxonomy of the Germanic ceratites:
1. All individuals of the Isseroda population are representatives of one species.
2. The morphospecies "E" and "P" represent two ontogenetically unmistakably separable groups of individuals.
3. The ontogenetic behavioural pattern of the dimorphs resembles the behaviour of female and male individuals of Recent reproductive communities. Therefore, the utilized terms morphospecies "E" and "P" correspond to sexual dimorphism in ceratites.
4. All higher and lower taxa attributed to C. (A.) spinosus by WENGER (1957) and listed up in his revision fall within the variability of the Isseroda population. By demonstration of sexual dimorphism they lose their former state of species or gender.
5. The ceratites of the Isseroda population belong to one chronospecies Ceratites spinosus PHILIPPI. The phenotypical manifestation is characterized by two morphospecies. This phenomenon of dimorphism is present throughout the entire phylogenesis of ceratites by two parallel developmental lines. By proof of sexual dimorphism the evolutive change of the genus Ceratites presumed so far is now demonstrated by a single biospecies.
6. In case of a confirmation of this general behaviour by a populational analysis of another Ceratites-biozone nomenclatural changes of the genus Ceratites will be unavoidable.

1. Einleitung

Im Rahmen des Ausbaus der Bundesautobahn A4 bei Isseroda (Kreis Weimar-Land) gelang in den Jahren 1992 bis 1993 die großflächig angelegte Bergung von mehr als 6000 gleichaltriger Ceratites spinosus. Mehr als 2000 davon wurden in den Fundus des Naturkundemuseum Erfurt übernommen. Mit den aus einer 3-5 cm mächtigen Ton/Mergel-Lage stammenden Belegstücken wird erstmalig die umfassende Bearbeitung einer Chronospezies der Gattung Ceratites auf Populationsebene ermöglicht. Bereits die erste Analyse frühontogenetischer Gehäusemerkmale von 250 jugendlichen Individuen erbrachte überraschende Ergebnisse (REIN 1999). Eine unterschiedliche Strategie im Gehäusebau ermöglicht die Trennung in zwei grundverschiedene Morphen, wie sie ansatzweise bereits von den Ceratiten der enodis/posseckeri- Zone bekannt ist (REIN 1988). Die damit gelungene Beweisführung, dass "C. (Acanthoceratites) armatus" und "C.(Doloceratites) muensteri" lediglich Jugendstadien von Ceratites spinosus verkörpern, verdeutlicht die taxonomische Bedeutung der Kenntnis aller Ontogenie-Stadien einer Art.
Zudem wirft die Existenz zweier verschiedener Morphen beim gemeinsamen Zusammenleben die Frage auf, ob es sich dabei um zwei Arten oder um Geschlechts-Dimorphismus handelt. Deshalb wird zur Klärung dieser Problematik das ontogenetische Verhaltensmuster dieser Morphen in acht aufeinanderfolgenden Größenklassen analysiert. Die Beantwortung dieser Grundfragen mit neuen statistischen Methoden ist der inhaltliche Schwerpunkt des ersten Teiles der Arbeit.
Kerngedanke des zweiten Teils ist die Rekonstruktion der biologischen Organisation des Ceratiten-Tieres. Sie erfolgt indirekt über Schlussfolgerungen aus Reaktionen auf traumatische oder pathologische Beeinträchtigungen. Die umfassende Bearbeitung dieser Problematik basiert auf mehr als 2700 Einzelbefunden der im ersten Teil statistisch erfassten Individuen der Isserodaer Population.

. Stratigraphie

Lithostratigraphie: Oberer Muschelkalk, Ladin, Meißner-Formation.
Der Fundhorizont befindet sich in einer ca. 11 m mächtigen Tonplattenfolge, die lediglich von einigen Schillkalkbänken unterbrochen wird. Viele dieser Bänke sind wenig horizontbeständig und können selbst lokal rasch auskeilen. Erst im Verbund mit der Gänheim-Bank und der cycloides-Bank wird die exakte Korrelation mit dem nur ca. 3 km entfernten Profil Troistedt ermöglicht (Abb. 1).
Biostratigraphie: Mittlere spinosus -Zone, erste nodose Phase (REIN 2001).

3. Messmethoden

Nach WENGER (1957) sind für taxonomische Zwecke bei Ceratites folgende Merkmale hierarchisch geordnet brauchbar: Skulpturtyp; Größe und Querschnitt; Involution und Scheibenzunahme; Dichte und Intensität der Skulptur; Skulptureigentümlichkeiten.
Dementsprechend gehört die sehr variable Ausbildung der Einfachrippen auf der Wohnkammer adulter spinoser Ceratiten zum Skulpturtyp der ersten nodosen Phase (REIN 2001). Die von WENGER angewandten Messmethoden für Gehäuseparameter wurden nur bedingt übernommen. Alle Messwerte sind aus dem Schema ersichtlich, wobei die dominanten am Fettdruck zu erkennen sind. Auf die weiteren von WENGER aufgeführten Skulpturmerkmale wird verzichtet, da diese subjektiv und statistisch nicht erfassbar sind. An ihrer Stelle wird mit neuartigen vom Phragmokon stammenden Werten gearbeitet aus denen erstmalig Parameter für ontogenetische Aussagen entstehen. Sie werden unter 6.1 detailliert beschrieben.


Durchmesser: D0; D1; D2
Windungshöhe: h0; h1; h2; h3; h4
h5 = [(h2+h2+h3)] / 3
h6 = [(h2+h3+h4)] / 3
Windungsbreite: b0; b1; b2; b3; b4
Nabelweite: N0; N1; N2

a: Abstand vom ersten zum dritten Mediansattel
A: Abstand vom ersten Mediansattel über 180°
G: Anzahl der Septen auf diesem Abschnitt

Daraus berechnete Gehäuse-Parameter
Außenspirale: A = [D2 / D1]
Innenspirale: I = [Nw1 / D1]
Gehäusequerschnitt: Q = [(b / h) * 100]
Scheibenzunahme: S = [(h / D) * 100]
Windungszunahme: W: [(h3 / h1) * 100]
Wohnkammer-Index: WI = [Q1 / Q2]
Wachstumsfaktor: L = [D1 / D2]

Ontogenie-Parameter
Septen auf 180°
Drängungs-Index: DI = [(a / h5) / 3]
Wachstums-Index: PI = [(A / h6) / G ]
Ontogenie -Index: OI = [DI / PI ]

4. Material und Methode

Mehr als 6000 Steinkerne spinoser Ceratiten aus einer 3 - 5 cm Ton/Mergel-Lage dokumentieren weder ein Massensterbe-Ereignis in Form eines Ceratiten-Pflasters noch eine Zusammenschwemmung leerer Gehäuse in Rinnenform. Immerhin besitzen 8 % der Steinkerne Weichkörperreste (inkohlte in-situ "Mundwerkzeuge") als Zeichen autochthoner Einbettung. Die mit mikritischem Kalk beidseitig verfüllten Gehäuse lagen i. d. Regel großflächig verteilt und waagerecht in einer Fundschicht. Die Oberfläche der Steinkerne ist ausgezeichnet erhalten und ermöglicht die Analyse kleinster Details. Davon befinden sich im Fundus des Naturkundemuseums Erfurt über 2000 Belegstücke von denen 1500 nach aufwendiger Präparation mit einem speziellen Computer-Programm statistisch erfasst wurden.
Davon entfallen 930 = 64% auf glatte "E" Morphen und 520 = 36% auf skulpturierte "P" Morphen. Die umfassende Analyse basiert auf ca. 80 000 morphologischen und biologischen Daten.
49% der Ceratiten weisen eine unterschiedlich dimensionierte Kappung des Phragmokons auf. Überraschend ist, dass davon 80% auf glatte "E"-Morphen entfallen. Dieses Verhalten bedarf einer gesonderten Untersuchung. Auf 24 % der Steinkerne waren Conchiolin- oder Conellen-Reste verblieben, während 10,5 % der Individuen zu Lebzeiten von Placunopsis (echte Epökie) besiedelt waren.
Um das Wachstumsverhalten während der verschiedenen Ontogenie-Stadien rekonstruieren zu können erfolgte die Einteilung der vermessenen Ceratiten in 8 Größenklassen (GK) mit dem Phragmokon-Durchmesser (D2) als konstantem Bezugspunkt. Auf diese Weise können die Auswertungsergebnisse der armatus/muensteri -Arbeit (REIN 1999) integriert und das weitere individuelle Verhalten dieser Morphen auf Populationsebene verfolgt werden.

GK D2 DE
1 bis 49 mm 41 - 75 mm
2 50-59 mm 70 - 95 mm
3 60-69 mm 80 - 110 mm
4 70-79 mm 95 - 130 mm
5 80-89 mm 105-150 mm
6 90-99 mm 120-160 mm
7 100-109 mm 130-170 mm
8 >110 mm 140-190 mm

Während sich der Phragmokon-Durchmesser von den GK 2 bis 7 jeweils um einen Zentimeter vergrößert, werden in den GK 1 und 8 jeweils alle Formen <49 und >110 zusammengefasst. Von 22 Ceratiten der Größenklasse 8 entfallen 21 auf die Morphe "P".
Die Endgröße DE = D1 * (D1 / D2) wurde mit dem jeweiligen individuellen Wachstums-Faktor (D1/D2) berechnet. Dieser Faktor wird sowohl zur Gehäuse-Mündung als auch mit zunehmender Gehäusegröße kleiner (Abb. 3). Die Ursache für die Variationsbreite beim berechneten Enddurchmessers (DE) liegt in der beachtlichen Standardabweichung vom Mittelwert der logarithmischen Spirale.

Abb. 3: Wachstumsfaktoren der logarithmischen Spirale
Während sich der Wachstumsfaktor der logarithmischen Spirale vom Phragmokon zur Wohnkammermitte nur minimal verringert, tendiert er zur Mündung hin von den kleinen bis zu den großen Individuen deutlich zur Verkleinerung. Offensichtlich wird das ontogenetische Gehäusewachstum unterschiedlich beendet. Diese Tendenz erscheint besonders bei der Morphe "E" ausgeprägt.

4. 1 Populationszusammensetzung

Nach WENGER (1957) besitzt die Gehäusegröße als taxonomisches Merkmal bei Ceratites einen großen Stellenwert. Für die spinosen Ceratiten ermittelte er Größen zwischen 6,6 cm und 20,5 cm. Ein ähnliches Ergebnis präsentiert die Gehäusegrößen-Verteilung der Isserodaer spinosus-Population.







Abb. 4: Gehäusegrößen-Verteilung der Isserodaer Ceratiten

Das Diagramm der Gehäusegrößen-Verteilung der Isserodaer Ceratiten vermittelt fälschlich das Bild einer idealen "Bevölkerungs-Pyramide" mit jeweils wenig jugendlichen und alten Individuen. Dieser Eindruck entsteht auch, wenn taxonomisch die Variationsbreite der Gehäusegröße von Spezies wie bei WENGER (1957) zwischen min. und max. der gefundenen Steinkerne angegeben wird. Das provoziert die berechtigte Frage nach der Existenz und dem Artstatus der Individuen die kleiner sind. Die Ursache für diese Interpretation liegt im Phänomen der fehlenden fossilen Überlieferung juveniler Ceratiten in Steinkern-Erhaltung aus dem Oberen Muschelkalk und der darin basierenden Unkenntnis über Individuen dieser Ontogenie-Stadien (REIN 1993).

Einen diesbezüglichen Qualitätssprung in der Ceratiten-Forschung bewirkt die statistische Analyse der Größenverteilung mit den "Mundwerkzeugen" der Kronacher-Ceratiten-Platte (REIN 2003). Die Besonderheit dieser Konservat-Lagerstätte beruht auf der gemeinsamen Einbettung von 44 adulten Ceratiten-Gehäusen mit mehr als 800 kohligen zungenähnlichen Strukturen (= Mundwerkzeuge der Ceratiten) unterschiedlichster Größe. Sie widerspiegelt erstmalig das quantitative Verhalten der Individuen aller Ontogenie-Stadien einer Population. Auf diese Weise ergab sich die einzigartige Chance mit dem Parameter-Wert 13% (Verhältnis Mundwerkzeug: Gehäuse) sowohl die Größe als auch die Anzahl der fossil nicht erhaltenen Gehäuse juveniler Individuen berechnen zu können.

Abb. 5: Rekonstruierte C. spinosus Population von Kronach mit einem Beispiel des Mundwerkzeug-Pflasters (SMK Nr. 503).
Die hellen Säulen (Ceratiten in Steinkernerhaltung) entsprechen der bekannten Größenverteilung wie sie sich im Muschelkalk darstellt (s.a. Abb. 4). Die dunklen Säulen verkörpern die mit dem Parameterwert 13% der Mundwerkzeuge errechneten Gehäusegrößen. Somit wird erstmalig zumindest annähernd die reale Zusammensetzung einer Ceratiten-Population sichtbar. Die Anzahl juveniler Individuen dürfte sich noch verdoppeln, da die kleinsten Strukturen nur unvollständig überliefert sind.

Pflaster aus Ceratiten-"Mundwerkzeugen" belegen gelegentliches Massensterben. Derartige Events können lokal begrenzt, aber auch in bestimmten Bereichen wie der Spiriferina-Bank oder Gänheim-Bank weiträumig ökologisch verursacht sein. Aufgrund ihrer zeitgleichen (plötzlichen) gemeinsamen Einbettung und Konservierung ermöglichen sie objektive Rückschlüsse über Größe und altersmäßige Zusammensetzung von Populationen. Belegmaterial von 11 weiteren Konservat-Lagerstätten zeigt jeweils die gleiche Tendenz. Deshalb können die Aussagen zu den Schlussfolgerungen als allgemeingültig angesehen werden. Danach ergibt sich für juvenile Ceratiten der spinosus-Zone bis zu einer Gehäusegröße von 60 mm bei jedem Zuwachs um einen Zentimeter jeweils eine Halbierung der Individuenzahl. Erst danach stabilisiert sich der Wert allmählich und nähert sich der natürlichen Mortalitätsrate. Dieses Verhalten spiegelt die Verluste durch Fressfeinde wider und verdeutlicht die große Rolle der Ceratiten in der Nahrungskette des Ökosystems Muschelkalkmeer. Die auffällig hohe Verlustrate der Ontogenie-Stufen bis 60 mm zeigt eine besondere Gefährdung dieser Altersgruppe. Bei der spinosus- Population von Isseroda handelt es sich zwar um kein Massensterbe-Event, doch gelten selbstverständlich auch in diesem Fall die gleichen quantitativen Sachverhalte bezüglich der Größenklassen-Verteilung.







Abb. 6: Größe der C. spinosusPopulation von Isseroda

Aus dem Diagramm wird ersichtlich, dass die statistisch erfassten Steinkerne der Isserodaer spinosen Ceratiten lediglich 5-10% der anteilig dazugehörenden Individuen einer Population verkörpern.
Erkenntnis: Die Gehäusegröße ist abhängig vom Ontogenie-Stadium in dem der Tod eintrat und deshalb kein taxonomisches Merkmal.

4.2 Die Morphen "E" und "P"

Aus dem Gehäusegrößen- Diagramm ist ersichtlich, dass die jugendlichen Individuen der Größenklasse 1 bis 49 mm (DE = 41-75 mm) aus diagenetischen Gründen nur selten fossil erhalten sind. Da sie sich morphologisch auch erheblich von den adulten Formen unterscheiden wurden sie in der Vergangenheit aus Unkenntnis der ontogenetischen Entwicklungsstufen eigenen Gattungen und Arten zugestellt.
Die zweifelsfreie Klärung dieser Fehldeutungen konnte erst mit Belegen lückenloser Übergänge aller Jugendformen bis zum adult-Stadium der Isserodaer Population erfolgen (REIN 1999). Weil das Hauptaugenmerk der frühontogenetischen Skulpturentwicklung galt, wurde gezielt der Bereich der Innenwindung sorgfältig herauspräpariert. Dabei war überraschend eindeutig die Aufspaltung in zwei grundverschiedene Morphen zu erkennen. Zum einen in den frühontogenetisch skulpturlosen "E" Typ (Abb. 7) und zum anderen in den kräftig dichotom skulpturierten "P" Typ (Abb. 8). Die Bezeichnungen "E" (von enodis) und "P" (von posseckeri) wurden aus einer früheren Publikation des Autors (REIN 1988) übernommen.
Bei den vorliegenden jugendlichen spinosen Ceratiten handelt es sich um dieselben Morphotypen die PHILIPPI (1901) mit Ceratites armatus und Ceratites münsteri bezeichnete. Sie wechselten danach zwischenzeitlich von WENGER (1957) über KOZUR (1974) bis URLICHS & MUNDLOS (1980; 1987; 1990) dreimal die Gattungs- und zweimal die Artzugehörigkeit.
Abb. 7 / 8 und 9 / 10 (jeweils nebeneinander)




Abb. 7: Ceratites spinosus PHIL., juvenil [Typ "E"], D = 78 mm, leg. P. Gensel, NME Nr. 94;552 FO: Isseroda, Merkmal Septendrängung: 18 Septen, 2 dichotome Einheiten




Abb. 8: Ceratites spinosus PHIL., juvenil [Typ "P"], D = 77 mm, leg.: D. Schlegel, NME Nr. 94;528, FO: Isseroda, Merkmal keine Septendrängung: 12 Septen, 13 dichotome Einheiten

Abb. 9: Anzahl der Dichotomeinheiten
Der Unterschied bei der Ausbildung der frühontogenetischen Dichotom-Skulptur ist durch den fehlenden Übergangsbereich eindeutig fixiert. Er ist real noch größer, denn die "P" -Werte mit den 8 und 9 Bildungen gehen auf kleine Individuen zurück, die noch nicht das nodose Stadium erreicht haben.
Mittelwerte und Standardabweichung: "E" = 2,2 ± 1,3 , "P" = 11,0 ±1,4

Abb. 10: Größe des Dichotomieabschnittes
Vergleicht man die Längen des dichotom skulpturierten Gehäuseabschnittes miteinander, so erhält man wiederum zwei unabhängige Gruppen ohne Übergangsbereich. Auch hier gilt für den Wert 300° das zuvor bereits zu kleinen Individuen gesagte.
Mittelwerte und Standardabweichung: "E" = 74° ± 51, "P" = 401° ±50

Um die Ausbildung der frühontogenetischen Innenskulptur statistisch erfassen zu können, wurden die Merkmale exakt definiert.
Als Dichotomeinheit wird eine Skulpturbildung mit dem Verhältnis 1 (lateral) : 2 (marginal) verstanden. Dabei kann es sich um Knötchen, Knoten oder Wülste handeln. Als nodos wird eine Skulpturbildung mit dem Verhältnis 1 (lateral) : 1 (marginal) bezeichnet. Dabei können die Skulpturelemente isoliert gegenüberstehen oder mehr oder weniger deutlich miteinander verbunden sein.
Beim "P" Typ ("muensteri") werden ab einem Gehäusedurchmesser von ca. 25 mm schwache laterale Knötchen gebildet die mit den marginalen Knötchen zuerst in trichotome und danach in stetig stärker werdende dichotome Skulpturelemente übergehen. Ihre Ausbildung ist sehr variabel. Es gibt schwache und starke, eng und weit auseinander stehende Knoten oder Knötchen die mehr oder weniger von der folgenden Windung überdeckt werden. Diese dichotome ontogenetische Phase erstreckt sich im Schnitt über mehr als eine volle Windung.
Im Unterschied zum "E" -Typ verläuft der Übergang zur Bildung von Einfachrippen problemlos.
Beim "E" -Typ werden ab einem Durchmesser von 40 mm lateral winzige Knötchen oder Fältchen gebildet. Diese können ausnahmsweise wie beim Holotyp PHILIPPIs den marginalen Knötchen sofort nodos gegenüberstehen. In der Regel werden jedoch ca. 2 schwach ausgebildete Dichotomeinheiten ausgeschieden. Dabei wird die trichotome Phase immer übersprungen. Der schnelle z.T. unvermittelte Übergang zur nodosen Skulpturbildung ist mit ungewöhnlich vielen aberranten Skulpturelementen verbunden. Dabei kommt es zu skulpturlosen Gehäuseabschnitten, häufige Bildung von Einzelknötchen, flexuose Faltenbildungen, zweigeteilte Einfachrippen, kompakte Einfachrippen und Skulpturlücken.

Abb. 11: Gehäusemorphologie von C. spinosus im dritten Ontogeniestadium gemeinsam gelagert
"E": C. spinosus adult, Isseroda, NKE Nr. 94;602, D = 104 mm, "E"-Typ ohne Dichotomeinheiten, 21 Septen; nodos skulpturiert ab D = 55 mm
"P": C. spinosus adult, Isseroda, NKE Nr. 94;603, D = 94 mm, "P"-Typ mit 12 Dichotomeinheiten, 13 Septen; 540° Dichotomiereichweite, nodos ab D = 75 mm

Nach dem Erkennen der beiden unterschiedlichen Strategien im Gehäusebau wird die Existenz von zwei grundverschiedene Morphen ohne Zwischenformen auch statistisch belegt. Derartig klare Merkmalsunterschiede sind eigentlich Belege für das Vorhandensein zweier Biospezies.
Die Deutung eigenständiger Arten wirft jedoch auch die Frage auf, warum beide Morphen nie getrennt, sondern immer im gemeinsamen Lager (s. Abb. 11) vorkommen. Dieser Tatbestand könnte somit auch als Sexual-Dimorphismus gedeutet werden. Deshalb basiert die Untersuchung dieser Problematik auf der Analyse des wechselseitigen Verhaltens der Dimorphen in den verschiedenen Ontogenie-Stufen.

5. Gehäuse-Parameter

Die umfangreiche statistische Analyse hat das Ziel, den Stellenwert der bislang verwendeten Gehäuse-Parameter für taxonomische Zwecke bei Ceratiten-Steinkernen zu testen. Ihre Dokumentation erfolgt mit drei verschiedenen graphischen Mitteln und differenzierter Fragestellung:
a) Sind unterschiedliche Tendenzen in der Gesamtverteilung zu erkennen die sich in Form morpho-typischer Merkmale eindeutig definieren lassen?
b) Wie verhalten sich die Morphen "E" und "P" auf Populationsebene innerhalb der Gesamtverteilung zueinander?
c) Kann mit Gehäuse-Parameter-Werten ein unterschiedliches ontogenetisches Verhalten der Morphen "E" und "P" in den 8 verschiedenen Größenklassen zueinander sichtbar gemacht werden?

5.1 Außenspirale

A = D2 / D1 Abb. 12a-c (immer nebeneinander, Unterschriften im Block untereinander darunter)

Abb. 12a: Population gesamt
Diagramm mit Normalverteilung und einem Mittelwert von 0,83±0,03. Sowohl die prozentuale Standardabweichung von 3,6 % als auch die beidseitigen Extremwerte (Min = 0,71 / Max = 0,92) zeigen die Divergenz zur logarithmischen Spirale. Hier liegt bereits eine Ursache für die große Variationsbreite beim Gehäusebau der Ceratiten.
Abb. 12b: Populationsverhalten von "E" / "P"
Innerhalb der normalen Gesamtverteilung verhalten sich auch die Morphen annähernd homogen, ihre Mittelwerte "E" = 0,83±0,04 und "P" = 0,83±0,03 sind identisch und lediglich die prozentuale Standardabweichung liegt mit 4,8% bei "E" um 1,2 % geringfügig höher.
Abb. 12c: Ontogenie-Verhalten von "E" und "P"
Anders als in der Gesamtverteilung unterscheidet sich die ontogenetisch bedingte Entwicklung der Mittelwerte in den Größenklassen. Auffallend der gebremste Aufwärtstrend zwischen den Größen 3 bis 6.

5.2 Innenspirale

I = Nw1 / D1 Abb. 13a-c

Abb. 13a: Population gesamt Das Diagramm der Innenspirale zeigt Normalverteilung mit einer breiten Spitze und einem Mittelwert von 0,25±0,06. Bereits die beidseitig ausgebildeten Extremwerte deuten auf die mit 24% sehr hohe prozentuale Standardabweichung. Damit wird wie bei der Außenspirale die Variationsbreite beim Bau der Gehäuseröhre erneut sichtbar.
Abb. 13b: Populationsverhalten von "E" / "P"
Die verschiedenartige Ausbildung der Innenspirale ist frappierend. In der Normalverteilung Abb. 13a verbergen sich zwei eigenständige ideale Gauß`sche Glockenkurven der Morphen mit unterschiedlichen Mittelwerten "P" = 0,27±0,03 und "E" = 0,24±0,03. Auch die prozentuale Standardabweichung von jeweils 10 % liegt im Vergleich zur Außenspirale um 7% höher. Mit Ausnahme der Extremwerte bewegen sich jedoch die Mittelwerte der beiden Morphen im Bereich der Abweichung mit fließenden Übergängen.
Deshalb besitzen die Parameter-Werte der Innenspirale trotz ihrer eigenständigen Trendanzeige innerhalb der Population keinen taxonomischen Merkmals-Status.
Abb. 13c: Ontogenie-Verhalten von "E" und "P"
Eine Besonderheit beim Gehäusebau liegt in der komplex beeinflussten Variabilität der Innenspirale. Besonders deutlich unterscheiden sich die Jugendstadien der Dimorphen bis zur Größenklasse 3. Obwohl beide Morphen in ihrer Ontogenie die Nabelweite ständig vergrößern bleibt zumindest bei den Mittelwerten die Verschiedenheit der Trends erhalten. Beachtenswert auch hier das Verhaltensmuster zwischen Größenklasse 4 und 6.

5.3 Gehäusequerschnitt

Q = (b / h) * 100 Abb. 14a-c

Abb. 14a: Population gesamt
Diagramm mit idealer Normalverteilung und einem Mittelwert von 82±7. Die mit 9% beachtliche prozentuale Standardabweichung ist mit den Extremwerten ein weiterer Hinweis auf die große Variationsbreite beim Querschnittsverhalten.
Abb. 14b: Populationsverhalten von "E" / "P"
Wie beim Parameter Innenspirale werden im Populationsdiagramm wiederum zwei ideale Gauß`sche Glockenkurven sichtbar. Bereits die unterschiedlichen Mittelwerte der Morphen "E" = 81±6 und "P" = 85±8 deuten auf unterschiedliche Trends bei der Ausbildung des Gehäusequerschnitts. Während "E" zu geringeren Werten tendiert wird die kompaktere Formung der Gehäuse von "P" erkennbar.
Die Variationsbreite der Dimorphen "E" und "P" liegt bei einer prozentualen Standardabweichung von 8% bzw. 9%. Das fließende Ineinander der jeweiligen idealen Normalverteilungen zeigt wiederum, dass es keine Spezies-Merkmale sind.
Abb. 14c: Ontogenie-Verhalten von "E" und "P"
Während der Ontogenie bis Größenklasse 6 ist bei den Dimorphen der generelle Trend der Querschnittszunahme ersichtlich. Die Erklärung für das danach deutliche Abnehmen der Werte wird unter 5.6; Abb. 17c gegeben. Auffällig die parallel in allen Größenklassen konstant bleibenden größeren Werte der "P" -Morphen während der gesamten Ontogenie. Ein ähnliches Verhalten ist als Merkmal für Geschlechts- Dimorphismus vom rezenten Nautilus bekannt.

5.4 Scheibenzunahme

S = (h / D) * 100 Abb.15a-c

Abb. 15a: Population gesamt
Ideale Normalverteilung mit einem Mittelwert von 43 ±2,3 und der prozentualen Standardabweichung von 5%. Sie stimmt mit dem Diagramm von WENGER (s. Abb. 27) überein. Abb. 15b: Populationsverhalten von "E" / "P"
Wie in den vorigen Diagrammen wird beim Populationsverhalten das seitlich verschobene Ineinander zweier Trendgruppen in Normalverteilung sichtbar. Das zeigen auch die verlagerten Mittelwerte der Morphen "E" = 44±2 und "P" = 42±2 mit 5% bzw. 6% prozentualer Standardabweichung. Somit ist auch bei der Scheibenzunahme die Variationsbreite beachtlich, wobei die Extremwerte von "P" zu kleineren und die von "E" zu größeren Werten tendieren.
Abb. 15c: Ontogenie-Verhalten von "E" und "P"
Obwohl der generelle Trend annähernd parallel von größeren zu kleineren Werten zeigt, ist die gegenläufige Tendenz ab Größenklasse 6 auffällig.

5.5 Windungszunahme

W: (h3 / h1) *100 Abb. 16a-c

Abb. 16a: Population gesamt
Diagramm mit idealer Normalverteilung der Werte bei verhältnismäßig geringer Variation. Mittelwert W = 73 ±5 bei 7% prozentualer Standardabweichung.
Abb. 16b: Populationsverhalten von "E" / "P"
Die Mittelwerte der Morphen "E" = 74±5 und "P" = 73±5 verhalten sich annähernd ausgeglichen zueinander und auch die prozentuale Standardabweichung (6,5% : 6,8%) differiert lediglich um 0,3%.
Abb. 16c: Ontogenie-Verhalten von "E" und "P"
Beim Vergleich der Mittelwerte im Ontogenie-Verlauf wird ein auffällig diametraler Trend sichtbar. Nehmen die Werte der Morphe "P" während der Individualentwicklung stetig zu, so verläuft die Entwicklung der Morphe "E" ab Größenklasse 4 faktisch gegenläufig. Besonders auffällig das Verhalten zwischen Größenklasse 3 und 6.

5.6 Wohnkammer-Index

WkI = Q1 / Q2 Abb. 17a-c

Abb. 17a: Population gesamt
Die "rechte Wand" des ungewöhnlichen Diagramms (Mittelwert = 1,06±0,09) bestätigt die Tendenz einer normalen Querschnittszunahme bis zur Wohnkammer-Mitte. Die zahlreichen Extremwerte der linken Seite sind jedoch ungewöhnlich und die Ursache für die mit 85% abnorm hohe prozentuale Standardabweichung.
Abb. 17b: Populationsverhalten von "E" / "P"
Im Diagramm ist mit den Mittelwerten der Gesamtheit von "E" = 1,1±0,08 und "P" = 1,1±0,09 nur ein leicht differenziertes Verhalten innerhalb der Population zu erkennen.
Etwas deutlicher wird der Unterschied in der prozentualen Standardabweichung ("E" = 75%; "P" = 86%).
Abb. 17c: Ontogenie-Verhalten von "E" und "P"
Q1/Q2: Das Verhaltens der Morphen wird beim Vergleich der relativen Querschnittszunahme vom Phragmokon zur Wohnkammer am allgemein abnehmenden Trend des Quotienten von 1,1 gegen 1 sichtbar.
Q0/Q1: Beim Vergleich des Verhaltens der relativen Querschnittszunahme von der Wohnkammermitte zur "Gehäusemündung" des Steinkerns verändert sich die Situation grundlegend. Trotz Berücksichtigung der sicherlich großen Mess-Fehlerquellen wird mit dem angenähert gleichbleibenden Wert um 0,95 über alle Größenklassen hinweg ein genereller Trend fixiert. Werte <1 sind offenbar ein Indiz für das Erreichen des Endstadiums beim Gehäusewachstum. Dabei spielt die jeweils erreichte Gehäusegröße anscheinend keine Rolle.

Der Wohnkammer-Index ist vom Verfasser (REIN 1988) erstmalig für den Nachweis eines ungewöhnlichen finalen Gehäusewachstums bei Progenese Ceratiten der enodis/posseckeri -Zone angewandt worden (Abb. 33). Die normale Querschnittszunahme kann während der Individual-Entwicklung mit der Division von Q1 / Q2 mit einem Quotienten >1 vorausgesetzt werden. Bei den Progenese Ceratiten war der Quotient mit 0,92/0,94 stets <1 und wurde als ein Indiz für Vorverlegung der Geschlechtsreife gedeutet.

6. Der Phragmokon als Datenbank

Der Bedeutung des Phragmokons als ontogenetischer Informationsträger wurde in der Vergangenheit kaum Beachtung geschenkt. Aus der Art und Weise des Septenbaues sind jedoch entscheidende Rückschlüsse auf die Biologie des Ceratiten-Tieres zu erwarten. Septen sind das Spiegelbild der physiologischen Verfassung des Ceratiten-Organismus. Gleichmäßiges, unregelmäßiges, schnelles oder gebremstes Wachstum, Reaktionen auf Verletzungen, Befinden bei pathologischen Beeinträchtigungen - alle diese Befunde reflektieren den ontogenetischen Werdegang des Individuums.
Das Entschlüsseln der beim Septenbau gespeicherten Informationen erfordert ein neues methodisches Herangehen. Mit dem Mess-Schema wird der Versuch unternommen, angenähert vergleichbare ontogenetische Parameter für alle Gehäusegrößen zu bekommen.
Sie beschränken sich aus verständlichen Gründen nur auf den letzten halben Umlauf.

6.1 Mess-Schema

Um analoge Werte zu erhalten, wird die Bogenfläche der Lateralseite des Phragmokons (Abb. 18a) auf ein gemitteltes Rechteck (Abb. 18b) gestreckt. Ziel ist eine statistisch verwertbare Vergleichsmöglichkeit der Septenabstände und ihrer Sequenzen auf dem letzten halben Umlauf.
Mit den Werten "a" und "h5 =[(h2+h2+h3) / 3]" und der Formel (a / h5) / 3 wird der relativierte Anteil eines Septums in der letzten Lebensphase ermittelt. Dieser Drängungs-Index gilt als Versuch den Begriff "sekundäre Lobendrängung" zu objektivieren.
Mit den Werten "A" und "h6 = [(h2+h3+h4) / 3]" und der Formel (A / h6) G erhält man den relativierten Anteil eines Septums des letzten halben Umlaufes und damit angenähert eine Korrelations-Möglichkeit mit dem Drängungsindex. Dieser Wachstums-Index ermöglicht Rückschlüsse auf das adult-Stadium, pathologische, traumatische oder sonstige Ausnahmebedingungen (z.B. "primäre Lobendrängung").



Abb. 18a: Phragmokon-Schema 1



Abb. 18b: Phragmokon-Schema 2

6.2 Septen als Indikatoren der Weichkörper-Lage

Das Epithel des hinteren Mantels scheidet die flächigen Septen aus. Die Lage des Septums in der Röhre entspricht deshalb der einstigen Position des Weichkörpers in der Wohnkammer. Bei Abb. 20 stehen die Septen vom Marginalsattel zur Nabelmitte senkrecht ausgerichtet. Diese normale Lage des Weichkörpers haben 66% der Individuen der Isserodaer Population. Bei 26% erfolgte der Einbau der Septen unterschiedlich stark nach vorn geneigt (proklin) und kann im Extremfall (s. Abb. 19) bis 65° von Normal abweichen. Diese descendente Ausrichtung der Sutur lässt sich auf dem gesamten sichtbaren Abschnitt des Phragmokons verfolgen. Der Weichkörper verändert demnach während der Ontogenie tendenziell seine ungewöhnliche Lage nicht. Der entgegengesetzte Einbau der Septen in die Gehäuse-Röhre, also eine ascendente Ausbildung der Lobenlinie ist mit einem Anteil von 8% seltener. Vor allem bei pathologischen Fällen kann hier der Weichkörper im Nabelbereich bis zu einem Winkel von 70° verlagert werden. Auf alle Besonderheiten des ungemein variablen Septenbaues (s.a. Abb. 21/22) wird im Teil II der Arbeit noch speziell eingegangen.



Abb. 19: C. spinosus NME 94171, D2 = 89 mm


Abb. 20: C. spinosus NME 95371, D2 = 100 mm

Beispielwerte der Ceratiten zum Vergleich:
Abb. 19) h5 = 34 h6 = 31 a = 14 SA = 146 G = 17 DI = 0,137 PI = 0,277 OI = 0,495
Abb. 20) h5 = 40 h6 = 36 a = 15 SA = 165 G = 24 DI = 0,125 PI = 0,191 OI = 0,655

6.3 Septen als Indikatoren der Ontogenese

Sowohl Anzahl der Septen als auch ihr von individuellen (ontogenetischen) bedingten Ereignissen unterschiedlich eingebauten Kammerscheidewände geben Aufschluss über die Ontogenie. Sie ermöglichen zudem den objektiven Vergleich zwischen den "E" und "P" Morphen innerhalb der Population. Immerhin kann die Differenz bis zu einem Phragmokon-Durchmesser D2 = 60 mm schon 30 Septen betragen (REIN 1997).



Abb. 21: C. spinosus NME 96873 D2 = 79
Traumatisch/pathologisch beeinflusstes Exemplar bei dem der Septenabstand immer größer wird.


Abb. 22: C. spinosus NME 95324 D2 =100
Adultes Exemplar mit extremer Lobendrängung.

Beispielswerte der Ceratiten zum Vergleich:
Abb. 21) h5 = 33 h6 = 30 a = 43 SA = 118 G = 10 DI = 0,434 PI = 0,393 OI = 1,104
Abb. 22) h5 = 42 h6 = 38 a = 11 SA = 154 G = 23 DI = 0,087 PI = 0,176 OI = 0,494

7.1 Anzahl der Septen auf 180°

Abb. 23a: Population gesamt
Das Diagramm präsentiert mit dem Gesamtmittelwert von 16,4±2,5 und 15% prozentualer Standardabweichung eine ideale Normalverteilung. Die gleichmäßige Verteilung der Extremwerte deutet auf eine große Variationsbreite.
Abb. 23b: Populationsverhalten von "E" / "P"
Bereits mit den Extremwerten werden im Diagramm zwei grundverschiedene Tendenzen mit eigener Normalverteilung der Septen-Ausbildung offengelegt. Das zeigt sich sowohl am Unterschied bei den Mittelwerten der Morphen "E" = 17±2,3 und "P" = 16±2,8 als auch an deren prozentualer Standardabweichung "E" = 13,5% und 17,5%.
Abb. 23c: Ontogenie-Verhalten von "E" und "P"
Besonders deutlich wird das unterschiedliche Verhalten der Morphen während ihrer frühontogenetischen Entwicklung sichtbar. So bauen bis zur Größenklasse 3 die Morphen "P" durchschnittlich 3 Septen weniger als "E" und erst ab der Größenklasse 4 nähern sich Werte allmählich an ohne sich zu berühren. Dieses Geschehen kann nur mit einem ungleichen Wachstumstempo der Dimorphen beim Gehäusebau interpretiert werden.

7.2 Drängungs-Index

DI = (a / h5) / 3



Abb. 24a: Population gesamt
Bei Diagrammen mit individuellen ontogenetischen Werten sind keine Normalverteilungen zu erwarten. Dennoch ermöglicht der Mittelwert von 0,21±0,05 eine objektivierte Bewertung der finalen Lobendrängung. Die prozentuale Standardabweichung von 24% ist ein aufschlussreiches Indiz für die vielfältigen Reaktionen des Ceratiten-Organismus sowohl auf endogene als auch exogene Einflüsse im allerletzten Lebensabschnitt.
Abb. 24b: Populationsverhalten von "E" / "P"
In der Gesamtverteilung einschließlich der Extremwerte verhalten sich beide Morphen scheinbar identisch. Aus den Mittelwerten und der prozentualen Standardabweichung ("E" = 0,19±0,05 26% und "P" = 0,22±0,05 23%) ist jedoch der Trend der "P" -Morphen zu einer deutlich geringeren finalen Lobendrängung als bei "E" ersichtlich. Abb. 24c: Ontogenie-Verhalten von "E" und "P"
Die Tendenz zur verstärkten finalen (sekundären) Lobendrängung wird von Größenklasse zu Größenklasse immer größer. Dabei wird der Abstand zwischen den Morphen durchgängig beibehalten. Definiert man die Verringerung des Septenabstandes mit dem Erreichen des adult Stadiums, dann sind "E" Morphen immer weitaus früher geschlechtsreif.

7.3 Wachstums-Index

PI = (A / h6) / G

Abb. 25a: Population gesamt
Normalverteilung mit dem Mittelwert 0,26±0,03 und einer prozentualen Standardabweichung von 11%. Abb. 25b: Populationsverhalten von "E" / "P"
Obwohl sich die Mittelwerte der Morphen "E" = 0,25±0,03 und "P" = 0,28±0,04 klar unterscheiden (prozentuale Standardabweichung = 12% : 14%) verhalten sich die Dimorphen in der Population scheinbar gleichartig zueinander.
Abb. 25c: Ontogenie-Verhalten von "E" und "P"
Ähnlich der finalen Lobendrängung (Abb. 24c) wird auch auf dem letzten halben Umlauf die Tendenz zu enger stehenden Septen von Größenklasse zu Größenklasse immer offensichtlicher. Besonders interessant ist dabei das Verhalten der Dimorphen bis zur Größenklasse 4. Die ungleich größeren Septenabstände der Morphe "P" sind wiederum nur mit einem größeren Wachstumstempo beim Gehäusebau zu erklären.

4.6.4 Ontogenie -Index

OI = DI / PI

Abb. 26a: Population gesamt
Verteilung mit einem Mittelwert von 0,79±0,1 und einer prozentualen Standardabweichung von 18%.
Abb. 26b: Populationsverhalten von "E" / "P"
Sowohl die Mittelwerte der Morphen "E" = 0,78±0,1 und "P" = 0,79±0,01 als auch die prozentuale Standardabweichung 19% : 17% unterscheiden sich nur wenig. Insgesamt verhalten sich die Dimorphen in der Population scheinbar gleichartig zueinander.
Abb. 26c: Ontogenie-Verhalten von "E" und "P"
Interessant das leicht gegenläufige Verhalten der Morphen zwischen Größenklasse 2 bis 5 und 6 bis 7. Die anfänglich hohen Mittelwerte deuten noch auf häufige Beeinträchtigungen der Individualentwicklung beim Septenbau jugendlicher Ceratiten. Mit zunehmender Gehäusegröße stabilisieren sich offenbar die ontogenetischen Verhältnisse.

Beim Vergleich der finalen Septen-Werte mit denen des letzten halben Umlaufes müssten Rückschlüsse zum Ontogenie-Verlauf möglich werden. Das bedeutet bei einem Quotienten >1 stehen Septen auf dem Phragmokon dichter als final und <1 stehen Septen auf dem Phragmokon weiter als final. Allerdings sagt dieser Wert jedoch nichts über fehlende Drängung aus.

8. Aktuelle Taxonomie

Wie schwierig sich die gesamte Problematik der Ceratiten-Taxonomie darstellt kann beispielhaft am nomenklatorischen Wandel der Chronospezies Ceratites spinosus PHIL. verdeutlicht werden. So schreibt PHILIPPI (1901;60) in seiner Monographie:
"Der auffallendste Typus dieser obersten Discites-Bänke ist eine große, bereits an die typischen Nodosen erinnernde Art, welche ich wegen ihrer sehr starken Externdornen als Ceratites spinosus bezeichne." und relativiert seine Aussage aber schon wenig später (S. 61):
"dass er kaum etwas dagegen einzuwenden hätte, wenn andere Autoren Ceratites spinosus und Ceratites evolutus nur für Varietäten ein und desselben Typus hielten."
Für die morphologisch völlig anderen Jugendformen des C. spinosus wählt er mit C. armatus und C. münsteri eigene Artnamen.
Bereits wenig später äußert sich RIEDEL (1918; 56) in seiner Monographie zu C. spinosus:
"Philippi hat also offenbar unter dem Namen Ceratites spinosus auch dem evolutus recht ähnliche spinose Formen zusammengefasst. Deshalb muß der Name Ceratites spinosus auf evolute Formen mit starken Außendornen beschränkt bleiben." und glaubt durch zwei zusätzliche Artbeschreibungen mehr Klarheit zu schaffen.
Mit der gleichen Zielstellung betätigt sich ROTHE (1955), indem er die bis dahin 3 spinosen Spezies auf 4 Arten mit 6 Unterarten erweitert.
Faktisch zeitgleich dazu gliedert WENGER (1957) in seiner Monographie die spinosen Ceratiten in eine Art mit 7 Unterarten in der Untergattung Acanthoceratites und die seit PHILIPPI als eigene Arten geführten juvenilen spinosen Morphen gesondert in eine Großart C. (P.) armatus der neuen Untergattung Progonoceratites. Diese taxonomisch völlig neue Gliederung ist das Ergebnis der ersten bei Ceratiten angewandten statistischen Auswertung von 850 spinosen Morphen aus unterschiedlicher stratigraphischer und geographischer Lage. Ungewöhnlich ist allerdings das methodische Herangehen bei der Auswertung der statistischen Daten. Eigentlich müssten sich nachweisbare taxonomische Einheiten erst aus den Graphen ergeben. WENGER wählte jedoch den umgekehrten Weg. Er bestimmte nach morphologischen Kriterien subjektiv zuerst die Taxa und stellte danach aus deren Werten seine Diagramme zusammen (z.B. Abb.27). An der jeweilig entstandenen Normalverteilung und den immer im Variationsbereich liegenden Werten seiner "Arten" hat er wahrscheinlich schon selbst erkannt, dass derartige Parameter keine Taxonomie-Merkmale sein konnten.






Abb. 27: Parameter Scheibenzunahme (WENGER 1957)
Die unterschiedlich gemusterten Teilabschnitte verkörpern die Anteile der Spezies. Die Werte verteilen sich über die gesamte Bandbreite und sind ohne erkennbare Abgrenzung zueinander taxonomisch bedeutungslos.

Dahingehend könnte zumindest WENGERs Zitat (S. 86) als Fazit seiner Arbeit zu deuten sein:
"...Es hat bei den Spinosen, trotz der augenfälligen morphologischen Mannigfaltigkeiten, gar keinen Sinn mehr, "Arten" zu machen. ... Mit den statistisch nicht erfassbaren Merkmalen könnte man den Selbstbetrug zwar noch eine Zeitlang weiter treiben, doch dürfte damit der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht gedient sein...."

Die nomenklatorische Zergliederung ging trotzdem weiter. So stellte KOZUR (1974) zwischenzeitlich alle dichotom skulpturierten germanischen Ceratiten zu Paraceratites und verwendet den jugendlichen spinosen Ceratiten mit dem neuen Namen Paraceratites (Progonoceratites) muensteri als Beleg zur Korrelierung der enodis/laevigatus-Zone mit Südwesteuropa. Von URLICHS & MUNDLOS (1980) wird Ceratites (Doloceratites) armatus muensteri als Typus von Doloceratites vorgeschlagen und wenig später (URLICHS & MUNDLOS 1987) Ceratites (Doloceratites) muensteri muensteri zum Typus einer dichotomen Großart gestellt. Ceratites (Acanthoceratites) armatus wird schließlich zur Stammart aller spinosen Ceratiten (URLICHS & MUNDLOS 1990). Somit wechselten die jugendlichen spinosen Dimorphen "armatus" und "muensteri" seit PHILIPPI (1901) dreimal die Gattungs- und zweimal die Artzugehörigkeit.
Nach der bislang letzten Revision der Gattung Ceratites durch URLICHS & MUNDLOS (1987) gilt für die spinosen Ceratiten folgende nomenklatorische Zuordnung:
C. (Doloceratites) muensteri muensteri PHILIPPI
C. (Acanthoceratites) armatus PHILIPPI
C. (Acanthoceratites) spinosus multicostatus WENGER
C. (Acanthoceratites) spinosus obesus WENGER
C. (Acanthoceratites) spinosus penndorfi ROTHE
C. (Acanthoceratites) spinosus postspinosus RIEDEL
C. (Acanthoceratites) spinosus praecursor RIEDEL
C. (Acanthoceratites) spinosus praespinosus RIEDEL
C. (Acanthoceratites) spinosus spinosus PHILIPPI
C. (Opheoceratites) evolutus capricornu WENGER
mit folgender Diagnose für die Untergattung Acanthoceratites:
"Eine mäßig involute bis konvolute Untergattung von Ceratites mit abgerundet hochrechteckigem Querschnitt, mit abgeflachter bis gerundeter Ventralseite und gewölbten, teils mit flachen, zum Nabel hin einfallenden Flanken. Der Phragmokon hat dichotome Skulptur, die auf dem letzten Umgang, spätestens am Ende der Wohnkammer in radiale bis proradiale Lateralrippen mit Marginaldornen übergeht."

Als Belege für die Nominatart Ceratites (Acanthoceratites ) spinosus spinosus PHILIPPI dazu die zwei Originale (URLICHS & MUNDLOS 1987; Abb. 9, 10a).



Abb. 28: Holotypus PHILIPPI
(1901, Taf. 41, Fig. 1)


Abb.29: Original SCHLOTHEIM
(1823, Taf. 31, Fig. 1)

Die vorliegende Populationsstatistik belegt es eindeutig: Die Originale gehören zu den Morphen "P" und "E". Die deutlich ausgeprägten frühontogenetischen Merkmale bleiben unerkannt. Die Ceratiten-Taxonomie bewertet ausschließlich morphologische Details aus der Variationsbreite adulter Individuen.

9. Erkenntnisse und Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse der Populationsanalyse zeigen: Allgemeingültige Aussagen zu Taxonomie und Biologie sind durch Merkmale von Einzelbelegen nicht zu erwarten. Erst mit der großen Anzahl von Individuen aus einer Population wurde die umfassende statistische Erfassung biologisch relevanter Daten ermöglicht. Die Ergebnisse der Bearbeitung verändern das bisherige Bild von Biologie und Taxonomie der germanischen Ceratiten erheblich.

9.1 Gesamtpopulation

Unterschiedliche Tendenzen sind in keiner Gesamtverteilung zu erkennen. Ideale Gauß`sche Glockenkurven bestätigen ausnahmslos den gleichen Trend im Rahmen der Mittelwerte.
Alle Individuen der Population haben somit gemeinsame Spezies-Merkmale. Das wird bei allen graphischen Darstellungen der Gehäuse-Parameter mit konstant ausgebildeter Normalverteilung sichtbar. Sowohl die z.T. beträchtliche prozentuale Standardabweichung als auch die Ausbildung der Extremwerte sind Ausdruck natürlicher Variationsbreite.
Die Individuen der spinosen Ceratiten der Isserodaer Population sind Vertreter einer Spezies mit großer Variationsbreite.

9.2 Populationsverhalten der Morphen "E" und "P"

Wie die Diagramme Abb. 9 und 10 zeigen, stehen die frühontogenetischen Merkmale der Morphen "E" und" P" ohne Übergänge isoliert für sich. Auch auf Populationsebene offenbart sich die Ontogenese dieser Dimorphen wiederum mit gesonderter Normalverteilung. Ihre Mittelwerte liegen jedoch ausnahmslos im Bereich der Standardabweichung der Gesamtpopulation. Die Morphen "E" und "P" bilden auf diese Weise charakteristische klar abgrenzbare Individuengruppen innerhalb der Fortpflanzungsgemeinschaft die nominellen Artstatus besitzen könnten. Für derartige Formen, deren Zugehörigkeit zu einer Biospezies nicht eindeutig nachweisbar ist (z.B. Sexual-Dimorphismus), wurde der Begriff Morphospezies eingeführt (WILLMANN 1985) und in diesem Sinne werden die Morphen "E" und "P" für die Analyse verwendet. Wie bereits aus den Diagrammen bei WENGER (1957) ersichtlich, besitzen derartige Parameter jedoch keinerlei taxonomischen Wert weil sie im komplexen Übergangsbereich der Daten liegen. Vielmehr fällt auf, dass die Standardabweichung bei den Gehäuseparametern gering und bei den Ontogenie-Indizes sehr groß ist. Der Hauptunterschied zwischen den Morphen ist demnach augenscheinlich physiologisch verursacht und in einer heterogenen Individualentwicklung zu suchen.
Die Morphen "E" und "P" können innerhalb der Isserodaer Population zwei ontogenetisch eindeutig abgrenzbaren Individuengruppen zugeordnet werden.

9.3 Ontogenetisches Verhalten der Morphen "E" und "P"

Die Analyse ontogenetischer Parameter von Ceratiten ist neu. Eine vergleichende Darstellung aufeinanderfolgender Größenklassen der Individualentwicklung macht erstmalig das jeweilige Verhalten der Dimorphen zueinander sichtbar. Aus den "c-Diagrammen" können die unterschiedlichen ontogenetischen Trends sowohl beim Bau des Gehäuses (Gehäuse-Parameter) als auch beim Bau der Septen (Ontogenie-Indizes) abgeleitet werden. Die vielschichtige Deutung der unterschiedlichsten Parameterwechsel befindet sich erst im Anfangsstadium. Auffallend häufig sind in erster Linie die Trendänderungen zwischen den Größenklassen 3 und 6. Faktisch alle Ontogenie-Indizes (5.6c; 7.1c-7.3c) vermitteln Hinweise auf ein deutlich verschiedenes Wachstumsverhalten der Morphen. Am evidentesten kann diese ungleiche Individualentwicklung des dimorphen Verhaltens mit folgenden Diagrammen dargestellt werden.

9.3.1 Gehäusegrößenentwicklung

Die in Abb. 4 ideale Normalverteilung der Gehäusegrößen verbirgt zwei in Abb. 30a sichtbar werdende grundverschiedene Trends. Die "E"-Morphen erreichen demnach ihr adult-Stadium durchschnittlich zwei Größenklassen früher als die Morphen "P". Wie sich das Verhalten der Dimorphen zueinander arithmetisch darstellt, ist anschaulich in Abb. 30b zu verfolgen. Zahlenmäßig stehen sich in der Gesamt-Population die Morphen "E" und "P" wie 2 : 1 gegenüber. Umso bemerkenswerter ist die beträchtliche Verlagerung dieses Sachverhaltes zwischen Größenklasse 3 und 4 auf ein Verhältnis von 4 : 1 und die extreme Umkehrung bei Größenklasse 8 auf 1 : 20. Während das Wachstum der Morphen "E" bereits ab Größenklasse 4 stagniert kehrt sich der Wachstums-Trend ab Größenklasse 5 um.



Abb. 30 a: Verteilung der Gehäusegrößen in den Größenklassen


Abb. 30b: prozentualer Anteil der Gehäusegrößen in den Größenklassen

9.3.2 Sekundäre Lobendrängung

Sekundäre Lobendrängung (bezogen auf den Mittelwert 0,21 in Abb. 24a) als Zeichen der erreichten Geschlechtsreife setzt bei 30% der Morphen "E" bereits in der Größenklasse 1 ein. Ab Größenklasse 3 sind es schon über 50% der Individuen. Dieses Niveau der Individualentwicklung erreichen die Morphen "P" erst ab Größenklasse 5. Die auf ontogenetischen Werten basierende Erkenntnis deckt sich mit den Schlussfolgerungen der Gehäuse-Parameter Abb. 30a/b.





Abb. 31: prozentuales Verhalten der Dimorphen bezogen auf den Drängungs-Mittelwert 0,21

9.3.3 Septenwachstum des letzten halben Umlaufes

Noch drastischer als bei der finalen Drängung wird in Abb. 32 das unterschiedliche Wachstumsverhalten dokumentiert. Bereits die ungleiche Anzahl der Septen (s. Abb. 23c) macht verständlich, warum 50% der Morphen "E" schon ab Größenklasse 1 gedrängt stehende Septen haben. Dieses Stadium erreichen Morphen "P" faktisch erst 6 Größenklassen später, obwohl 10% von ihnen schon in Größenklasse 3 "Frühreife" erlangen. Geschlechtsreife ist demnach nicht von der Gehäusegröße abhängig, sondern genetisch bedingt flexibel auch in frühe Ontogeniestadien vorverlegt.





Abb. 32: prozentuales Verhalten der Dimorphen bezogen auf den Wachstums-Index-Mittelwert 0,25

Evolutionsbiologisch gesehen ist ein derartig variables Reproduktionsverhalten in Zeiten ökologischer Grenzbedingungen wie in der Progenese Phase (Abb. 33) ein Garant für das Überleben (REIN & OCKERT 2000).

9.4 Sexual-Dimorphismus

Mit ihren generell größeren Septenabständen demonstriert die Morphe "P" ein schnelleres Gehäusewachstum das sich anschaulich am größeren Enddurchmesser (s. 4.) und Gehäusequerschnitt (Abb. 14c) niederschlägt.
Im Gegensatz dazu neigt die Morphe "E" mit eng stehenden Septen und einer vorgezogenen finalen Lobendrängung zu einem geringeren Wachstumstempo und geringerer finaler Gehäusegröße (Mittelwerte DE: "E" = 96 mm / "P" = 106 mm). Deshalb entspricht die Größenklasse nicht gleich der Altersstufe (Abb. 30). Gleichgroße Steinkerne verschiedener Morphen repräsentieren ein unterschiedliches Lebensalter. In diesem gegensätzlichen physiologischen Verhalten zwischen den Ontogeniestadien wird die mannigfache Strategie beim Erreichen der Geschlechtsreife eindrucksvoll sichtbar. Die Morphen "E" und "P" verhalten sich damit genau so zueinander wie männliche und weibliche Tiere innerhalb rezenter Populationen. Sie erlauben damit den Nachweis von Geschlechts-Dimorphismus bei den Germanischen Ceratiten.
Die Antwort auf die Frage, welche der Morphen nun welches Geschlecht verkörpert bleibt selbstverständlich hypothetisch. Favorisiert für das männliche Geschlecht erscheint die Morphe "P". In der Regel sind sie es, die agiler, kräftiger und größer sein müssen, um sich innerhalb der Population durchsetzen zu können. Auch der größere Gehäusequerschnitt spräche für diese Version, denn auch der männliche rezente Nautilus hat aus anatomischen Gründen gleichfalls eine breitere Gehäusemündung. Hypothetisch wäre demnach Morphe "P" das männliche ? und Morphe "E" das weibliche ? Ceratitentier.
Das ontogenetische Verhaltensmuster der Morphen "E" und "P" der Isserodaer Population gleicht dem Verhalten weiblicher und männlicher Individuen in rezenten Fortpflanzungsgemeinschaften. Die verwendeten Begriffe "E" und "P" stehen deshalb bei Ceratiten für Sexual-Dimorphismus.

9.5 Vergleich mit der aktuellen Taxonomie

Bei der Revision der Gattung Ceratites durch URLICHS & MUNDLOS (1987) werden die Ceratiten der spinosus -Zone 3 Untergattungen mit 4 Arten in 8 Unterarten zugeordnet. Zwei davon, nämlich "armatus" und "muensteri", verlieren ihren Artstatus a priori da es sich um jugendliche Morphen spinoser Ceratiten handelt. Die weiteren "Arten" beruhen auf der Diagnose der Untergattungen Acanthoceratites und Opheoceratites mit statistisch nicht erfassbaren Merkmalen (s. Zitat WENGER). Bereits den Formulierungen der Gattungsdiagnose ist zu entnehmen, dass dem ontogenetischen Morphologie-Wandel keine Bedeutung zugemessen wird. Das wird beim Vergleich der Originale für Ceratites (Acanthoceratites) spinosus spinosus (URLICHS & MUNDLOS 1987; Abb. 9, 10a) besonders deutlich. Die abgebildeten Typen gehören zu den Morphen "E" und "P". Wie unterschiedlich und variabel sich diese Dimorphen entwickeln ist aus den Diagrammen der Populations-Analyse ersichtlich. Mit diesem Kenntnisgewinn wird es verständlich warum die Diagnose für eine fiktive Gattung bereits mit zwei Originalen fehlschlagen muss. So hat Abb. 29 weder eine dichotome Skulpturierung auf dem Phragmokon (s. Morphe "E") noch Lateralrippen mit Marginaldornen (auf die Variabilität der Skulpturbildung wird im folgenden Teil II noch ausführlich Bezug genommen). Auch die Variationsbreite der Innenspirale (vgl. 5.2) belegt, dass Individuen einer Population wegen eines minimal vergrößerten Nabels bei Morphe "P" nicht gleich die Gattung wechseln ("Ceratites (Opheoceratites) evolutus capricornu" WENGER).
Alle von WENGER (1957) zu C. (A.) spinosus gestellten und in der Revision aufgeführten höheren und niederen Taxa fallen in die Variationsbreite der Isserodaer Population. Sie verlieren mit dem Nachweis des Sexual-Dimorphismus einer Spezies ihren bisherigen Gattungs- und Artstatus.

9.6 Taxonomische Konsequenzen

Die evolutive Entwicklung der Germanischen Ceratiten entspricht einer mehr oder weniger kontinuierlich zeitlichen Abfolge von Populationen. Der allmähliche Merkmalswechsel an den Biozonen-Grenzen entsteht im Prozess einer ständigen morpho-physiologischen Anpassung an sich ändernde ökologische Bedingungen. Auf Zonen-Ebene werden die morphologischen Merkmalsänderungen jeweils mit einem Artnamen (=Biozonen-Merkmal) fixiert (Abb. 1; 33). Derartige Taxa basieren auf dem Chronospezies-Konzept (WILLMANN 1985), sie sind willkürlich durch ein gewisses Maß an Merkmalsunterschieden begrenzt und im Gegensatz zu Biospezies künstliche Bildungen.
Alle Ceratiten der Isserodaer Population gehören zur Chronospezies Ceratites spinosus PHILIPPI. Ihr phänotypisches Erscheinungsbild wird durch zwei Morphen mit jeweils großer Variationsbreite geprägt. Dieses Dimorphismus-Phänomen begleitet in zwei durchgängig parallelen Entwicklungslinien die gesamte Ceratiten-Phylogenese (REIN 2001). Mit dem dafür vorgelegten Nachweis von Sexual-Dimorphismus wird der bislang vermutete evolutive Wandel der Gattung Ceratites mit einer Biospezies (Ceratites nodosus) belegt. Sollte dieses Gesamt-Verhalten mit der Populations-Analyse einer anderen Ceratiten-Biozone (Rein, in Vorbereitung) bestätigt werden, ist eine Änderung der Nomenklatur auf Untergattungs- und Artebene in der Gattung Ceratites im Sinne der Regeln der ICZN, Artikel 23ff ((ICZN 2000) unvermeidlich.

Abb. 33: Im Phylogenese -Schema sind die litho- und ökostratigraphischen Leitbänke Thüringens als punktuelle Ereignisse in der durchschnittlichen Schichtmächtigkeit des mo - Profils vermerkt (D-Bk = Döllstedt Bank; M-Bk = Marolterode Bank; A-Bk = Arnstadt Bank; G-Bk = Gänheim Bank; S-Bk = Schellroda Bank). In Korrelation dazu ist der zeitliche Rahmen der wichtigsten phylogenetischen Parameter der germanischen Ceratiten dargestellt. Die Biozonen vermitteln das Bild der fließenden Zonen-Übergänge. Sie machen deutlich, dass es sich nicht um Faunenschnitte, sondern um eine lückenlose Aufeinanderfolge von Chronospezies-Populationen handelt. Chronospezies sind im Gegensatz zu Biospezies zwar keine realen Objekte, jedoch für die Biostratigraphie unverzichtbar. Biozonen in denen das Dimorphismus-Verhalten im adult-Stadium sichtbar bleibt, sind an der paarigen Morphen-Bezeichnung und den sichtbaren (fett) oder verdeckt (gestrichelt) gedruckten Abschnitten der Entwicklungslinien zu erkennen. Die Spalte "E" und "P" verdeutlicht das wechselvolle aber ohne Aufspaltung durchgehende Sexual-Dimorphismus -Verhalten einer Biospezies (verändert aus REIN 2001).

Dank

Einem glücklichen Umstand schuldet Herr Peter Thieme (Weimar) die Entdeckung des Fundhorizontes an der BAB A4 bei Isseroda. An der mühevollen Bergung der Ceratiten aus dem temporären Aufschluss war auf Initiative der Herren Peter Gensel (Weimar) und Detlef Schlegel (Saalfeld) auch Herr Klaus Ehrhardt (Stadtilm) beteiligt. Dabei wurden sie von Herrn Bernhard Diesmann (Oberbauleiter der Firma Kirchner) vorbildlich unterstützt. Die Bedeutung ihres unter schwierigsten Bedingungen vollbrachten Beitrages für die Ceratiten-Forschung kann erst jetzt richtig eingeschätzt werden. Für diese Leistung gebührt ihnen Dank und Anerkennung ebenso, wie dem Direktor des Naturkundemuseums Erfurt, Herrn Gerd-Rainer Riedel für die Unterstützung beim Erwerb des wertvollen Sammlungsgutes.
Herr Sebastian Brandt (Erfurt) präparierte in seiner Zivi-Zeit im Museum über 700 Ceratiten. Herr Dr. Walter Elger (Jena) sponserte die Präparationstechnik und Herr Thomas Bierwisch (NMErfurt) sorgte stets dafür, dass diese Technik auch immer funktionierte. Die Herren Matthias Hartmann, Herbert Grimm und Ulrich Scheidt (NMErfurt) waren stets geduldige Diskussions-Partner. Herr Stefan Weiland (Jena) unterstützte mich beim Kampf gegen Computertücken und Herr Klaus Ebel (Markdorf) fertigte die Übersetzung der Zusammenfassung. Wichtige Hinweise erhielt ich noch nach der akribischen Durchsicht des Manuskripts von Herrn Matthias Hartmann. Allen Genannten möchte ich hiermit meinen Dank für die Unterstützung meiner Arbeit aussprechen.

Literatur

ICZN (2000): Internationale Regeln für die Zoologische Nomenklatur, 4. Aufl., Offizieller deutscher Text.- Abhandlungen des naturwissenschaftlichen Vereins Hamburg (NF) 34, 232 S., Hamburg.
KOZUR, H. (1974): Biostratigraphie der germanischen Trias.- I/II und Anlagen Freiberger Forschungshefte, C 280 Paläontologie, Leipzig.
OCKERT, W. & REIN, S. (2000): Biostratigraphische Gliederung des Oberen Muschelkalks in Thüringen.- Beitr. Geol.. Thüringen, NF, 7: 195-228, 17 Abb., 2 Tab., 1 Beil., Jena.
PHILIPPI, E. (1901): Die Ceratiten des oberen deutschen Muschelkalkes.- Paläont., Abh., Band 8, N.F., 4: 347-458,Taf. XXXIV-LIV, Jena.
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